Über Materialqualitäten zu sprechen ist toll. Ich könnte das stundenlang tun. genauso, wie ich stundenlang schöne Stoffe streicheln kann. Bei mir kommt das daher, dass ich viele Jahre meines Lebens nicht nur nähe (und Kleidung trage, haha), sondern auch als Stoffverkäuferin gearbeitet habe. Als Stoffverkäuferin bist auch mit Stoffen umgeben, die du selbst niemals oder noch nicht vernähen würdest und mußt trotzdem bescheid wissen. Ich empfand das allerdings eher als “darf” bescheid wissen, denn ich fand das immer spannend.
Schon als Schülerin habe ich in einer Stoffabteilung in einem Kaufhaus gearbeitet und liebte es, wenn der Chef eine Ecke im Keller suchte, an der kein Rauchmelder montiert war, um Stoffproben anzuünden, uns daran riechen zu lassen, die Rückstände zwischen den Fingern zu zerreiben und dann zu raten, welche Faserzusammensetzung der Stoff hat. Noch heute liebe ich genau das, wenn ich über dem Waschbecken in der Küche Stoffproben anzünde oder dies zusammen mit Frau Nahtzugabe mache, die noch viel besser dazu bescheid weiß – die Bloggerin Frau Nahtzugabe kennst du sicherlich. Sie hat das tolle Materiallexikon “Stoff und Faden” geschrieben, das es auch im Schnittmusterkiosk, dem Onlineshop von crafteln, zu kaufen gibt.
Im Vergleich zu Frau Nahtzugabe bin ich absolute Laiien, was das Schnuppern usw. betrifft. Wie gut, dass es das Materiallexikon gibt. Aber ich weiß, worauf du bei Stoffqualitäten in Hinblick auf die Zusammenwirkung von Stoff und Schnitt achten solltest und genau darum geht es in der heutigen Episode des Passt Podcast von crafteln.
In diesem Blogpost bekommst du eine Zusammenfassung der Inhalte der Podcastepisode. Im Podcast selbst, erzähle ich noch etwas ausführlicher.
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Diese Episode ist eine von 15 Episoden meiner Einsteigerinnenserie zum Thema Schnittanpassung. Weitere Episoden findest du bereits hier im Blog unter folgenden Links:
- #1 Warum Schnittanpassung mein Herzensthema ist
- #2 Warum ich vorziehe Schnittmuster anzupassen, statt am Nähwerk nachträglich zu frickeln
- #3 Schnittkonstruktion versus Schnittanpassung
- #4 Maße sind nur Zahlen, um gut passende Kleidung zu nähen
- #5 Eine Anleitung zum Messen der senkrechten und waagerechten Maße
- #6 Wo ist die Taille?
- #7 Schnittmuster kontrollieren
- #8 Von Abnähern und Zugaben
- #9 Das Geheimnis der perfekten Passform
- #10 Von Wunschkundinnen und Maßtabellen
- #11 Größenwahl
- #12 Längenänderungen
- #13 Weitenänderungen
In meinem Podcast, “Passt, der Podcast von crafteln” bin ich mit einer 15-teiligen Einsteigerinnen-Serie gestartet. Es sind 15 Folgen vollgepackt mit meinem Wissen, Tipps und Perspektiven – die dir helfen sollen, den Einstieg in die Schnittanpassung zu erleichtern. Es ist ein richtiger “Audio-Kurs” geworden, mit Lernlektionen á jeweils 30-50 Min. Länge. Klicke auf die jeweilige Folge um zum Artikel mit der Podcast-Episode zu gelangen.
Und jetzt gehts los mit Episode #14!
Heute erzähle ich dir in dieser Einsteigerinnenserie zum Thema Schnittmuster anpassen deshalb etwas über Materialqualitäten, weil wir Schnittanpassung schließlich nicht aus reinem Zeitvertreib machen. Wir wollen am Ende ein tolles Kleidungsstück produzieren, da spielt das Material eine große Rolle. Deswegen lohnt es sich, ein paar Worte über den Zusammenhang von Materialeigenschaften und Schnittanpassung zu verlieren.
Webware oder Jersey
Beginne ich mit der groben Einteilung der Stoffe in Webware oder Jersey. Oft höre ich die Formulierung “Baumwolle oder Jersey” – aber das ist Quatsch, denn hier werden Äpfel mit Birnen verglichen. Baumwolle ist ein Material, eine Faser, während Jersey die Art und Weise ist, wie der Stoff aus dem Material hergestellt wurde und wie er sich demensprechend verhält. Ich spreche also über Webware oder Jersey oder genauer gesagt über gewebte oder gewirkte/gestrickte Stoffe. Das heißt ich spreche über den Unterschied, mit dem die aus Fasern herstgestellten Fäden zu Stoffen verarbeitet werden.
Webware
Weben kennst du sicherlich. Vielleicht hattest du als Kind auch schon mal einen Webrahmen, in dem parallel zueinander Fäden gespannt waren und bei dem dann im rechten Winkel dazu Fäden durchgezogen wurden, so dass sie abwechselnd über oder unter einem Faden durchgeschoben wurden. Diese einfachste und weit verbreiteteste Art des Webens bzw. der Stoff den daraus entsteht, wird als “in Leindwandbindung gewebt” bezeichnet. Da die Fäden im rechten Winkel zuseinander zusammengefügt werden, ensteht ein einfaches Karomuster. Wieviele Fäden nun nacheinander oben oder unten liegen, variiert die Bindung. Es gibt noch die Köperbindung, die du von Jeans kennst, bei der der Stoff eine Art Schraffur im Winkel von 45% hat. Und noch andere Arten der Bindung. Die bekannteste und wohl am weitesten Verbreitete Bindung ist aber die Leinwandbindung mit ihrem gleichmäßigen Karomuster.
Der Stoff, der auf so einem Webrahmen entsteht, nennt man Webware. Webware hat eine interessante Materialeigenschaft: sie ist nicht elastisch. Wenn der Stoff nach oben/unten oder nach rechts/links gezogen wird, ist er nicht elastisch. Ziehst du allerdings schräg, dann ist er doch dehnbar. Genau diese Eigenschaften werden später für das fertige Kleidungsstück genutzt.
“Jersey” oder wie es eigentlich heißt “gestrickte oder gewirkte Stoffe”
Wird ein Stoff aber mittels eines Fadens oder mehrere Fäden gestrickt, also in Maschen gearbeitet, die miteinander verknüpft werden, so ist der Stoff (mehr oder weniger) elastisch. Wenn du genau hinschaust, dann erkennst du die Maschen. Bei einigen dieser Stoffe wie bei Strickpullovern auf der einen Seite rechte und auf der anderen Seite nur linke Maschen. Andere Stoffe sind zum Beispiel eins-rechts-eins-links gestrickt, so dass ein Rippenmuster ensteht, das noch elastischer ist und gerne zum Beispiel für Bündchen genutzt wird.
Was viele nicht wissen: Jersey gibt es noch gar nicht so lange. Obwohl elastische, gestrickte und gewirkte Stoffe schon länger genutzt wurden, z.B. als Unterwäsche oder ganz klassisch handgestrickt, als Pullover, ist das so hergestellte elastische Material eigentlich erst mit Jane Fonda in die Mode eingezogen. Und wurde erst in den letzten Jahren, mit der zunehmenden “Jogginhosenisierung” unserer Gesellschaft gesellschaftsfähig. Wir tragen alle dauernd Shirts und finden das ganz normal, aber das war ein noch revolutionärer Akt, als James Dean im T-Shirt rumlief.
Vielleicht hast du dich gewundert, dass ältere Damenschneiderinnen als Nählehrerinnen oft auf Webware schwören und Jersey nur mit spitzen Fingern anfassen. Sie habe es schlichtweg nicht in ihrer Ausbildung gelernt, mit elastischen Materialien zu arbeiten und sind überrascht davon, dass Hobbynäherinnen (in Deutschland) Jersey bevorzugen.
Mythos: Jersey verzeiht
Hobbynäherinnen nähen deswegen so gerne mit Jersey, weil angeblich der Jersey alles verzeiht. Nun ja, dem kann ich nicht zustimmen. Es stimmt zwar, dass ein elastischer Stoff es ermöglicht, in ein Kleidungsstück irgendwie hereinzukommen und sich darin bewegen zu können – aber es heißt noch nicht, dass das Kleidungsstück dann automatisch gut aussieht.
Das Problem, das ich mit Jersey habe ist, dass der Jersey macht, was er will. Klar, es funktioniert viel mit Jersey, der Stoff dehnt sich, wo Dehnung gebraucht wird oder er rutscht ein wenig am Körper entlang. Leider sieht das nicht immer gut aus. Wo der Stoff zu stark gedehnt wird, kann er heller werden und verrutschte Nähte sehen auch nicht super aus.
Ich neige dazu zu sagen, dass dieses Verzeihen ein Mythos, eine faule Ausrede ist und plädiere dafür, auch Schnittmuster für elastische Stoffe sorgfältig anzupassen. Denn auch bei Kleidungsstücken aus elastischen Stoffen gilt: alles muß am richtigen Platz sein und das Kleidungstück muß überall die richtige Weite haben. Auch wenn es dir der Jersey zugegebenermaßen einfacher macht, mußt du das Schnittmuster kontrollieren und ggf. anpassen. Was nützt es dir, wenn du zwar in das Shirt hineinkommst, dich bewegen kannst, aber die Schulternähte schief sitzen, der Armausschnitt an komischer Stelle sitzt, der Brustabnäher nicht auf die Brust zeigt (falls es überhaupt einen gibt, oftmals sind es ja eher ausgeprägte Falten oberhalb der Brust am Armloch) oder die Seitennähte Schlangenlienien fahren. Auch wenn ich jetzt ein wenig übertrieben habe. Du weißt sicherlich, was ich meine.
Die schlimme Folge: weil solche Kleidungsstücke irgendwie passen, haben wir uns an schlechte Passform gewöhnt. Wir sehen diese Passformfehler so lange nicht, wie wir von so Spaßbremsen wie mir darauf hingewiesen werden. Menschen, die nur Kaufkleidung tragen können, werden davon möglicherweise niemals erfahren.
Veränderte Sehgewohntheiten durch Mode und Material
Apropos Sehgewohnheiten. Da heutzutage so viel Jersey getragen wird, haben sich unsere Sehgewohnheiten noch weiter verändert. Dank der elastischen Stoffe, können Ärmel mittlerweile sehr eng sein. Wir sind es gewöhnt, dass Ärmel sehr körpernah geschnitten sind und vergessen oft, dass diese schmale Passform eben nur bei elastischen Stoffen möglich ist.
Als ich begann Webware zu vernähen, wunderte ich ich darüber, dass Ärmel oft nicht gut passten bzw. dass ich die Arme nicht heben konnte. Ich weiß nicht mehr genau, ob ich damals weniger gut konstruierte Schnittmuster nähte oder ob ich aus optischen Gründen die Ärmel enger nähte. Möglicherweise beides. Jedenfalls war ich enttäuscht, dass ich in meinen schicken Tuniken die Ärmel nicht heben konnte. Genauso schockiert war ich Jahre später, als ich das Kimonokleid zum ersten Mal nähte und die Weiten Ärmel entdeckte. Ich hatte spontane Assozialtionen zu einem Hausmeisterkittel.
Doch Webware, nicht elastische Stoffe, brauchen eine gewisse Weite im Kleidungsstück, damit Bewegungen gut möglich sind. Das müssen wir akzeptieren und unsere Sehgewohnheiten entlarven. Warum finden wir eigentlich enge Ärmel so schön. Kann es sein, dass wir nur ein Opfer der Mode sind?
Was bedeutet das jetzt für Schnittanpassungen? Zum einen geht es mir darum, dass du deine Sehgewohnheiten entlarvst und deine Ansprüche realistisch formulierst. Nicht alles geht in Webware, was in Jersey funktionieren würde, aber dafür hat die Webware eben ganz andere Materialeingeschaften und Vorteile, dazu komme ich später.
Denk an die Zugaben!
Und dann mußt du den Zugaben eine besondere Aufmerksamkeit schenken. Als treue Hörerin meines Podcasts wirst du bemerken, dass ich zu Wiederholungen neige oder genauer gesagt, schon öfters über Zugaben gesprochen habe. Das liegt daran, dass es so wichtig für dich ist, die Zugaben bei den Anpassungen nicht zu vergessen und weil die Zugaben zu Recht als schwieriges Thema gelten. Zu wenig schränkt die Bewegungsmöglichkeiten ein oder fühlt sich nicht gut an und zu weit sieht möglicherweise nicht den Wünschen entsprechend aus.
Die gute Nachricht ist: ein Gefühl für Zugaben kannst du mit der Zeit entwickeln, wenn du ein Bewußtsein dafür hast, dass sie notwendig und wichtig sind. Da es immer leichter ist, etwas enger zu machen, als weiter, darfst du am Anfang eher großzügig zuschneiden und mittels Finetuning dein Kleidungstück nach dem Nähen perfektionieren. Du darfst eben nicht am Anfang, bei der Planung, beim Kontrollieren des Schnittmusters und beim Zuschnitt die Zugaben vergessen. Sonst ist am Ende kein Spielraum mehr für das Finetuning da.
Jeder Stoff verhält sich anders
Ich bin deswegen so großzügig, was die Annahmen bezüglich der Zugaben bei den Schnittanpassungen betrifft, weil mir klar ist, dass sich jeder Stoff anders verhält und das es schon ein großes Maß an Erfahrung bedarf, um vorauszusehen, wie sich der jeweilige Stoff im Zusammenhang mit dem verwendete Schnitt verhalten wird.
Oft denke ich, dass wir Hobbyschneiderinnen einen etwas zu hohen Perfektionsanpsruch an uns und das zukünfigte Kleiudngsstück haben. Klar, wenn wir schon nähen, dann wollen wir, dass es so gut, wie nur möglich und vor allen Dngen viel besser als Kaufkleidung wird. Aber ist es nicht ein wenig viel verlangt, mit ein paar Jahren Näherfahrung schon 100ig voraussagen zu können, wie sich dieser Stoff in Kombination mit diesem Stoff verhält? Auch wenn ich schon lange nähe und das eine oder andere über Stoffqualitäten und Schnittanpassung weiß – ich erlebe auch immer wieder Überraschungen.
Deswegen habe ich auch gar nicht den Anspruch, mit einer Schnittanpassung gleich 100%, also die perfekte Passform auf Anhieb zu erreichen, sondern nehme Finetuning bewußt mit in Kauf. Aber über Perfektionsansprüche werde ich nächste Woche noch mal genauer sprechen.
Silhouette mit Webware
Ich möchte jetzt erstmal zurückkommen auf den Unterschied zwischen Webware und Jersey. Über den Mythos, das Jersey alles verzeiht, habe ich schon gesprochen und auch darüber, dass wir mit einem nichtelastischen Stoff eben nicht alles realisieren können, was uns vorschwebt, wie zum Beispiel sehr schmal geschnittene Ärmel. Aber ich finde, Webware hat auch einige Vorteile.
Ab gesehen davon, dass Webware, wenn sie nicht allzu flutschig ist, sich wunderbar leicht vernähen lässt. Schätze ich an Webware, dass ich der Chef bin und nicht der Stoff. Ich kann Kleidungsstücke aus Webware modellieren, bis mir die Silhouette des Kleidungsstücks an meinem Körper gefällt. Dazu brauche ich funkionsgebende Designdetails, wie Abnäher, Falten, Kräusel und Teilungsnähte. Diese Designdetails bringen einen zweidimensionalen Stoff in Form, so dass er sich nach meinen Vorstellungen um den dreidimensionalen Körper schmiegt. Und damit dies gut gelingt, müssen wir den Schnitt anpassen.
Schnittanpassungen bei Webware
Bei Schnittanpassungen für Webware müssen wir also nicht nur darauf achten, dass ein Schnittmuster breit genug, also das daraus enstehende Kleidungssück weit genug ist, damit wir überhaupt hineinkommen, Luft bekommen und uns bewegen können. Wir müssen auch clever mit den formgebenden Designdetails spielen, damit das Kleidungsstück die gewünschte Form bekommt.
Dabei ist in erster Linie zu beachten, dass diese formgebenden Designdetails an den richtigen Stellen sitzen. Sind sie verrutscht, weil wir stur nach der Anleitung arbeitet, statt den Schnitt mit unseren Körpermaßen abzugleichen, dann nützen sie uns ganz und gar nicht. Dann sitzen Abnäher oder Teilungsnähte an der falschen Stelle, irgendwo beult es, wo es nicht beulen soll oder Falten springen unschön auf. Es ist also unabdingbar, dass wir mit den senkrechten Maßen genaustens kontrollieren, wo genau bestimmte Designdetails vorgesehen sind und ob das für unseren Körper sinnvoll ist.
Mit Hilfe der waagerechten Maße kontrollieren wir dann die notwendige Weite und treffen Überlegungen bezüglcih der Zugaben in Hinblick auf die Stoffqualität und die gewünschte Silhouette des zukünftigen Kleiudngsstückes. Jetzt fängt die Spielerei, das designen des zukünftigen Kleidungsstückes an. Eine Arbeit, die uns kein ausgebildeter Designer abnehmen kann, weil diese schlichtweg unseren Körper nicht kennt und nicht weiß, mit welchem Stoff wir das Kleidungsstück nähen wollen.
Hier kommt wieder die Erfahrung mit ins Spieß, die Freude am Ausprobieren, die Akzeptant, dass ein Finetuning fast immer nötig ist und ein wissen über die Verhaltensweise, die Materialeigenschaften des verwendeten Stoffes. Und genau deswegen rate ich dir dazu, dich mit Faseren und Materialien zu beschäftigen und Schnittanpassung an verschiedenen Materialqualitäten auszuprobieren. Es ist noch keine Meisterin vom Himmel gefallen, aber es ist ein verdammt spannendes Abenteuer!
In der letzten Episode der Einsteigerinnenserie nächste Woche geht es um Perfektion. Anschließend macht der Podcast ca. 4 Wochen Pause, bis die nächste Staffel beginnt. Über meine Pläne für Staffel 2 erzähle ich dir nächste Woche mehr.
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