Seit einiger Zeit beschäftigte ich mich mit dem Phänomen “ältere Frauen”. Klar, das hat etwas mit mir und meinem Alter (Moment, ich muß nachrechnen….53 Jahre) zu tun. Erst jetzt ist mir aufgefallen, wie wenig Informationen es gibt – oder gibt es nur die nicht, die ich suche?

Ohne Vorbilder ist es wahnsinnig schwer, herauszufinden, was es für mich persönlich heißt, eine “ältere Frau” zu sein. Wie will ich sein? Wie will ich aussehen?

Hier bei crafteln geht es um gut passende Kleidung, meist mehr um das “wie” als das “was”. Aber natürlich braucht es auch eine Ideen davon, was ich eigentlich nähen möchte. Meine Kleidung selbst zu nähen, gibt mir diese Definitionsfreiheit – aber das überfordert auch manchmal. Viel einfacher wäre es doch, Kleidung in einem Geschäft mit dem Namen “Schöne Kleidung für ältere Frauen” zu kaufen – aber selbst wenn es das gäbe, heißt das ja noch lange nicht, dass mir dann, das, was es dort gibt, passt.

Als Expertin für gut passende Kleidung weiß ich: es ist schwer, Kleidung industriell zu produzieren, dass sie “jederfrau” passt. Je älter wir werden, umso individueller wird unser Körper – auch wenn es ein paar Gemeinsamkeiten gibt. Aber wer weiß schon genau, wie ältere Frauenkörper aussehen?

Wenn niemand weiß, wie ein älterer, weiblicher Körper aussieht, ist es kein Wunder, dass Kleidung nicht gut passt und das Frauen unsicher sind, was ihnen steht

 

Fehlende ältere Frauen in den Medien

Vor ein paar Jahren forschte die Malisa-Stiftung zur Sichtbarkeit von Frauen in den Medien. Es überraschte nicht, was sie herausfanden: je älter, je unsichtbarer.

Das erklärte meine immer wieder aufpoppende Unsicherheit: Wie ist es eigentlich, eine “ältere Frau” zu sein? Umso weniger Vorbilder sichtbar sind, umso schwieriger ist es auch den eigenen Weg zu finden.

Schon sehr früh werden Frauen in Filmen nicht mehr als “Love Interest” besetzt. Während Männer auch noch romantische Rollen spielen, wenn sie über 50 sind, stoppt diese Möglichkeit bei Frauen schon ab 30. Was bleibt sind Nebenrollen: Mutter, Nachbarin oder andere Randfiguren.

Natürlich sehen wir ältere Frauen in den Medien, aber es macht etwas mit uns, wenn sie nicht die Hauptrolle spielen. Es ist, als würden wir immer und immer wieder gesagt bekommen, dass wir keine Rolle spielen und möglichst am Rand stehen bleiben sollen.

 

Fehlender Vorbilder

Wenn ältere Frauen nicht in den Medien zu sehen sind, oder als Klischee-Bild der attraktiven Rentnerin aus der Werbung mit dem strahlenden Lächeln und den wunderschönen weißen Haaren vertreten sind, dann ist es gar nicht so leicht, sich vorzustellen, wie eine Frau in der zweiten Lebenshälfte sein könnte.

Gerade in Zeiten der Pandemie, in denen wir seltener das Haus verlassen, als gewohnt, orientieren wir uns noch stärker an den Medien. Umso wichtiger, dass dort alle Arten von Menschen vertreten sind und nicht nur junge, dynamische, schlanke Menschen mit weißer Haut.

Wir brauchen Bilder. Ich bin eine Frau der Texte und vergesse auch oft Bilder in meine Blogbeiträge einzubauen. Das liegt allerdings auch daran, dass ich gerade zu diesem Thema “ältere Frau” auch nur Bilder von mir habe. Die Bilder aus den Bilddatenbanken, die ich kaufen könnte, gefallen mir nicht. Die Frauen sind nicht echt. Sie zeigen entweder Idealkörper, die in einer Traumwelt leben oder aber sie karikieren die die Bildaussage und zeigen das andere Extrem: alt = krank, gebeugt, verbraucht und zerbrechlich.

Insbesondere das mittlere Alter ist merkwürdig wenig sichtbar. Dabei gibt es definitiv eine Lebensphase zwischen Gebährfähigkeit und Greisentum.

 

Kleidung und Schnittmuster werden nicht für ältere Frauen gemacht

Doch dann bemerkte ich, dass es nicht nur um die Sichtbarkeit und die Vorbilder geht. Auch in meinem beruflichen Themenfeld “Kleidung”, sind ältere Frauen merkwürdig wenig beachtet – obwohl sie einen Großteil meiner Kundinnen darstellen. Ich zeige Frauen, wie sie Schnittmuster für sich zu Maßschnittmustern machen können, um für sich selbst gut passende Kleidung zu nähen. Kurz gefasst: ich lehre sie Schnittanpassung. Genau das brauchen sie, denn die meisten Schnitte sind einfach nicht für sie gemacht.

Wenn Schnittmuster für einen jungen, schlanken Körper in einer kleinen Kleidergröße entworfen werden und anschließend nur größer gradiert werden, ist es kein Wunder, dass sie nicht passen!

Körper verändern sich mit dem Alter: die Bandscheiben schrumpfen, der Rücken ist nicht mehr gerade, weiches Gewebe sammelt sich hier und dort an. Kurz gefasst: wir werden kleiner und runder. Wir haben komplett andere Proportionen als ein jugendlicher Körper oder der einer jungen Erwachsenen.

 

Veränderte Proportionen

Meine Kundinnen fragen mich oft danach, was für sie vorteilhaft aussehen könnte. Lange Zeit war ich völlig irritiert von diesen Fragen. Ich fühlte mich partout nicht berufen, etwas dazu sagen zu können oder zu wollen. Sollen das doch die Stilberaterinnen machen. Doch nachdem ich diverse Bücher über Stil gelesen habe, danach geforscht habe, was Frauen mit großen Größen tragen sollten und auch Kurse dazu besucht habe, war ich auch nicht schlauer. Überall las ich die üblichen Tipps, aber nirgendwo warum das so sein könnte. Mir war das zu wenig System, zu wenig Theorie. Damit wurden diese Tipps beliebig.

Ich stellte fest, dass das, was Orientierung bieten sollte – Figurtypen Apfel bis Sanduhr – den Frauen Schwierigkeiten bereitete. Weder hatten sie ein genaues Bild von sich, noch passte das ins Schema. Es brauchte, bis ich verstand, dass so etwas wie Figurtypen uns deswegen nur bedingt weiter hilft, weil diese Formen wenig mit den Körpern älterer Frauen zu tun haben. Natürlich sind solche Darstellung idealisiert und überzeichnet und können nicht wirklich mit einem realen Körper verglichen werden. Aber je mehr ich echte ältere Körper studierte, wurde mir klar, dass die Proportionen älterer Körper mit diesen Modellen wenig kompatibel sind.

Kein Wunder, wenn ältere Frauen unsicher sind, was ihnen steht, wenn die Stilratgeber*innen die Proportionen älterer Körper nicht berücksichtigen!

Obwohl ich mich wirklich jahrelang dagegen sträubte, irgendwelche Stylingtipps zu geben, merke ich, wie mich das Thema doch brennend interessiert. Je mehr ich mich damit beschäftige, um so öfter rutscht mir aus Versehen dann doch der eine oder andere Tipp über die Lippen, obwohl ich das wirklich nie wollte. Doch je mehr ich mich damit beschäftigte, umso klarer wurde mir, dass ich das, wonach ich suchte – also eine Theorie, ein Modell über ältere weibliche Körper – begann selbst zu entwickeln. Ich bin noch nicht so weit, das alles klar vermitteln zu können, aber weil ich mein Wissen so gerne weitergebe, habe ich jetzt schon mal drei Tipps für dich.

 

3 Stylingtipps wie du als ältere Frau eine gute Figur machst

 

Tipp #1: Akzeptiere die Tatsache, dass die Taille verschwunden ist

Viele Frauen in einem mittlernen Alter bezeichnen sich als dick, ordnen sich bei den “großen Größen” ein oder suchen Kleidung in der Plus-Size-Abteilung obwohl sie in meinen Augen überhaupt nicht dick sind. Was sich allerdings im Laufe des Lebens geändert hat: Die Taille ist verschwunden! Es hat sich weiches Gewebe um die Körpermitte herum angesammlt.

Weil dieser Körperbereich nun irgendwie schwierig ist und Frauen sich dafür schämen, werden Kleidungsstücke gewählt, die einfach zu groß sind. Kein Wunder, Frauen haben ihr Leben lang erzählt bekommen, dass “Hässliches” kaschiert werden muss. Funktioniert nicht. Sobald du etwas trägst, was zu sehr flattert, wirkst du insgesamt wuchtiger. Tut mir leid.

Deswegen rate ich zu taillierten Kleidungsstücken gerade weil die Taille nicht mehr sichtbar ist. Mit gut passender Kleidung und den passenden Stoffen können wir unsere Silhouette definieren. 

Tipp #2: Kleide dich “korrekt”

Kleidungsstücke haben nicht nur eine Farbe oder ein Muster, sondern auch noch senkrechte und waagerechte Linien, z.B. Nähte Knopfleisten und Säume. Es ist ganz entscheidend, wo diese Details liegen und dass sie korrekt aussehen. Eine Naht, die senkrecht verlaufen soll, muß dies auch tun. Ist sie geneigt oder verläuft kurvig, dann ist das Kleidungsstück zu eng – der Körper holt sich den Stoff.

Genau deswegen nähe ich meine Kleidung selbst: ich kann durch Schnittanpassung dafür sorgen, dass das Kleidungsstück an jedem Körperbereich ausreichend Weite hat. Deswegen muß ich keine “Säcke” tragen.

 

Tipp #3: Entscheide selbst, wohin du den Blick lenkst

Es ist so großartig, sich Kleidung selbst nähen zu können, denn dann müssen wir nicht nehmen, was uns angeboten wird. Falls du es lernen willst – ich zeige dir gerne, wie das geht! Wir müssen keine Kompromisse machen, wie wir es von Kaufkleidung gewohnt sind. Wir können Säume genau dort enden lassen, wo es für uns vorteilhaft ist, wir können die Ausschnittsform verändern und wir müssen uns nicht mit zu weiten Schultern zufrieden geben.

Wenn Kleidung gut passt, dann lenken wir den Blick statt es unserem Gegenüber zu überlassen, Passformfehler “zu bestaunen”. 

Wir werden vom Objekt zum Subjekt. Das ist die Magie von gut passender Kleidung – der einfachste, wenn auch nicht schnellste Weg dorthin ist, sie sich einfach selbst zu nähen.

Die neue Dame

Irgendwann hatte ich auf einmal die Idee, das es früher viel mehr besser gekleidete, ältere Frauen gab. Ich kann mich irren, schließlich war ich früher jung und alle Frauen erschienen mir älter. Aber plötzlich hatte ich das Bild der “Dame” Augen und mir fielen einige Beispiele aus meiner Familie und aus Filmen und Büchern dazu ein. Doch diese Bilder musste ich irgendwie in die heutige Zeit übersetzen.

Mit Damen assoziiere ich nicht nur wohlhabendeFrauen, die mit ordentlich Klunker behangen sind und deswegen tiptop aussehen. Ich sehe eigentlich ganz unterschiedliche Damen vor meinem inneren Auge und das brachte mich auf die Idee, das genau das eine Art Vorbild sein könnte, das mir helfen könnte, ein Bild davon zu entwickeln, wie ich als ältere Frau sein und aussehen möchte.

Eine ganz konkrete ältere Dame habe ich vor Augen. Meine eine Oma war wirklich eine Dame. Und ja, sie konnte es sich leisten, zum Schneider zu gehen und Sachen für sich nähen bzw. sie ändern zu lassen. Sie war immer gut gekleidet und war das beste Beispiel dafür, dass frau auch mit rundlicher Figur super aussehen konnte.

In gut passender Kleidung können wir alle eine gute Figur machen. Wir brauchen dafür keinen Schneider -machen wir es selbst! 

Mir ist schon klar, dass das alles nicht von heute auf morgen geschieht. Es braucht etwas Zeit, um zu lernen, wie wir gut passende Kleidung für uns selbst nähen können. Aber es lohnt sich und das innere Bild der “neuen Dame” hilft mir, mich zu motivieren, immer mehr über gut passende Kleidung auch für Körperformen zu lernen, die nicht dem Ideal entsprechen und herauszufinden, wie ich eigentlich sein  und aussehen will.

Vielleicht hast du Lust, ja mal gemeinsam mit mir an deinem Bild zur “neuen Dame” zu arbeiten? Dann komm in meinen Workshop am 11.Dezember. Info und Anmeldung mit *klickaufsBild*

 

Hast du Stylingtipps für uns “ältere Damen”?

Hast du ein Bild davon, wie dein Körper sich in den Jahren verändert hat? Bist du vielleicht auch gerade auf dem Weg, dich und dein Aussehen für die zweite Lebenshälfte neu zu erfinden. Oder hast du vielleicht deinen Stil schon gefunden? Hast du vielleicht noch Stylingtipps für uns? Ich finde es großartig, wenn wir voneinander lernen!