Eines der ganz wundervollen Dinge, für die ich dieses Internet so schätze ist die Tatsache, dass sich für jede auch noch so abseitige Interesse Gleichgesinnte finden lassen. Schon erstaunlich, dass ich diese Möglichkeit, andere dicke Menschen kennenzulernen und mich mit ihnen auszutauschen, jahrelang schlichtweg ignorierte. Ich hatte das Problem gelöst und war deswegen blind auf diesem Auge. Doch seit dem ich mich mit dem #curvycraftelnplussizeprojekt beschäftige, machte ich mich auf die Suche, was es “da draußen” noch so gibt und kam aus dem Staunen nicht mehr raus. 

Kurze Zusammenfassung: Irgendwann in den 90er begann ich in Plus-Size-Geschäften zu kaufen und irgendwann in den 2000ern begann ich meine Garderobe selbst zu nähen. Mit der selbstgenähten Kleidung, ganz nach meinen Wünschen, war das Problem gelöst: ich hatte das Gefühl so auszusehen, wie ich aussehen wollte, fand mich schön und gut gerüstet für die Welt. Dass es so etwas wie Plus-Size-Blogs etc. gab wußte ich, interessierte mich wenig.

 

Selbstermächtigung auf die charmante Art

An eine Aktion kann ich mich aber noch gut erinnern. Die Bloggerin Miss Bartoz fragte “Darf ich das?” und fragte rhetorisch, ob dicke Frauen Blockstreifen tragen dürfen. Natürlich! 2014 war das. Ganz schön lange her. Was hat sich seit dem getan? Antworten mehr oder weniger Frauen auf diese und ähnliche Fragen “Na klar, warum nicht?!”.

Ich fand es jedenfalls damals – und finde es heute ebenso – super, dass Miss Bartoz diese Aktion “Ich darf das!” nannte und dies nicht als Frage formulierte und ich glaube, das hat schon die eine oder andere Welle geschlagen. Hier findest du alle Beiträge zu dieser Aktion von Miss Bartoz.

 

Findet und verbündet euch

Ich habe damals noch einen anderen Plus-Size-Blog hin und wieder gelesen (dessen Namen ich vergessen habe, weil es ihn nicht mehr gibt), war aber mehr an den Nähblogs rund um den Me Made Mittwoch interessiert, weil ich ja keine Kleidung mehr kaufte. Was ich zum Beispiel gar nicht mitbekommen hatte, war, dass sich eine richtige Plus-Size-Szene junger Bloggerinnen gebildet hatte, die sich auch untereinander, zum Beispiel mit einer Liste deutscher Plus-Size-Blogs vernetzte.

Wie gesagt, ich bin keine Expertin für das Thema, ich habe wirklich kaum über den Tellerrand geschaut, weil mich Kaufmode nicht interessierte und weil ich als etwas ältere Frau (im Vergleich zu den Plus-Size-Bloggerinen), mich auch nicht ganz wieder fand. Was ich damals schon bemerkenswert fand war die Forderung, die ich immer wieder las “wir wollen die gleich Mode”. Das konnte ich nachvollziehen, aber gedanklich zuckte ich mit den Schultern und dachte “dann näht sie euch doch.”

 

“Hochglanzfotos” ja oder nein?

Was mich auch von den Plus-Size-Bloggerinnen und den Instagrammerinnen, die ich zwischenzeitlich dann auch unter Hashtags wie #plussize #curvy oder auch #bopo oder #bodypositivity entdeckte, trennte, war die perfekte Inszenierung, die tollen Fotos, die mich eher abschreckten. Ich hatte jahrelang für meinen Nähblog Fotos mit Selbstauslöser vor der Tür unseres Gästeklos gemacht und so sahen sie auch aus. Die tollen Fotos, die ich auf Plus-Size-Blogs genauso wie auf Modeblogs sah, lösten bei mir sehr widersprüchliche Gefühle aus.

Auf der einen Seite jubelte mein Herz, wenn es wunderschöne dicke, gutgekleidete Frauen sah. Jawohl! Auf der anderen Seite hatte ich eher Sehnsucht nach Normalität, nach Alltag und nach etwas weniger Perfektion. Ich kann natürlich verstehen, wenn Frauen sich vor allem mit ihrer Schokoladenseite zeigen, denn das Internet vergisst nichts. Aber in den Medien sah ich nur sexy dicke Frauen (wenn sie zur Abwechslung mal schön sein durften) und in den Blogs nur perfekt gestylte. Ich bin nicht dauernd sexy oder gestylt. Irgendwie fehlte mir was und der Funke sprang bei mir nicht über.

Eine Frauenzeitschrift für dicke Frauen?

Seit vielen Jahren lese ich keine Frauenzeitschriften mehr. Hin und wieder, wenn ich beim Friseur oder einer Ärztin zu so einer Zeitschrift greife, merke ich, wie sehr sie mich langweilt. Das Frauenbild, das dort vermittelt wird, spricht mich nicht an, die permanente Selbstoptimierung in allen Lebensbereichen finde ich abwertend und ausgesprochen schlecht für mein Selbstbewusstsein. Warum soll ich mir ein buntes Heftchen voller Werbung anschauen und auch noch dafür bezahlen, wenn ich mich nach dem Lesen noch schlechter fühle als vorher?

Doch als es auf einmal eine Zeitschrift mit dem Titel “curvy” gab, war ich doch neugierig und fand, dass egal, wie oberflächlich ich sie vermutlich finden würde, dass es lohnt, den Versuch etwas anders zu machen, zu unterstützen. Ich habe zwei Ausgaben gelesen/durchgeblätter und denke, ich bin mittlerweile solcher Medien entwöhnt. Aber wenn ich schon eine Hochglanzzeitschrift durchblättern muss, dann finde ich “curvy” eine gute Wahl, denn es tut schon verdammt gut, sich normal zu fühlen, weil die Frauen, die dort abgebildet sind, eben eine ähnliche Figur haben.

 

“Das Internet hat mich dick gemacht”

Doch auch wenn ich viele Jahre nicht explizit Plus-Size-Blogs las, habe ich mir meine jeweiligen Timelines in den sozialen Netzen doch so zusammengestellt, dass das Thema mehr und mehr da war. Allerdings auf einer anderen Ebene, als der Mode. Was mich mehr und mehr interessierte war die Suche nicht nach individuellen Lösungen sondern nach kritischer Auseinandersetzung mit dem Thema. Das fand ich bei vielen Feministinnen. Dazu las ich insbesondere sehr gerne die Beiträge von Journelle.

Ich fand dort Gedanken wieder, die mich auch bewegten, fand Untersuchungen, die widerlegten, dass dicksein automatisch ungesund sein bedeutet und entdeckte, dass es so etwas wie “Dickendiskriminierung” gibt – ein Wort, das ich zu Anfang selbst nicht zu denken wagte, bis ich es auch nicht mehr nicht denken konnte. Das Hinterfragen, warum dick-sein eigentlich so schlimm ist und die Überlegungen, wie der Hass auf Dicke gesellschaftlich verstanden werden kann, hat mir mehr das Gefühl gegeben, nicht alleine und nicht machtlos zu sein, als die Plus-Size Blogs. Insbesondere der Vortrag von Journelle auf der republica 2016 (Link zum Video) fasst das sehr gut zusammen und hat mich sehr berührt.

Auch ich schrieb zwei Jahre lang einen Body Acceptance-Blog auf einer großen Plattform. Vielleicht hast du es damals gelesen. Unter dem Namen “Abschaffung der Problemzonen bloggte ich bei stern.de über Körper und hatte dort mit viel Hass in den Kommentaren zu kämpfen, dass ich danach einige Jahre zu dem Thema verstummte. Ich hatte meinen Frieden mit mir durch die selbstgenähte Kleidung gefunden, mir noch mehr Ärger einzuheimsen, nur weil ich öffentlich darüber spreche, wollte ich mir ersparen.

 

Podcasts klärten meinen Irrtum auf.

Seit einiger Zeit sind vor allen Dingen Podcasts meine Inspirationsquelle, also machte ich mich im Rahmen des #curvycraftelnplussizeprojekts auf die Suche nach Plus-Size-Podcasts und stellte verwundert fest, dass es verdammt wenig auf deutsch dazu gibt. Das erstaunte mich, denn ich hatte gedacht, das Thema wäre schon weiter im Mainstream angekommen. Aber vielleicht galt das nur für Medien mit Bildern?

Ich hörte dann einige Folgen des Plus-Size-Kaffeeklatsch-Podcasts und auf einmal fühlte ich mich beschämt, dass ich die Plus-Size-Internetszene jahrelang ignorierte. Denn eine Episode entlarvte mich und meinen Irrtum. Auch wenn es quasi nur ein Nebensatz war, wurde mir plötzlich klar, dass meine Überzeugung, “das Problem gelöst zu haben” nicht stimmte.

 

Das Problem ist noch nicht gelöst

Die beiden Podcasterinnen sprachen davon, wie sie als dicke Frauen Reisen erleben. Sie erzählten von ihren Sorgen, zu viel Platz einzunehmen und von der Verlegenheit die aufkommt, wenn frau nach einer Gurtverlängerung im Flugzeug fragt. Bäm! Ich fühlte mich verstanden. In dieser Hinsicht war mein “Problem” noch lange nicht gelöst. Auch wenn ich mich mittlerweile schön und stark fühlte. Ich bin immer noch eine dicke Frau und in vieler Hinsicht in unserer Gesellschaft ein unerwünschter Alien. Immer dann, wenn ich Sorge habe, dass ein Stuhl kracht, wenn im Bus niemand neben mir sitzen will, weil ich zu viel Platz wegnehme (oder ich mir das auch nur einbilde), wenn ich im Treppenhaus nach ein paar Stockwerken keuche, dann bin ich nach wie vor noch eine dicke Frau.

Ich hatte diese Gefühle der Scham schlichtweg verdrängt, ich hatte sie einfach nicht zugelassen, weil ich mich eben nicht unnormal fühlen wollte. Und ich hatte das mit mir selbst ausgemacht, statt darüber zu reden. Ich hatte schlichtweg übersehen, dass es ganz vielen Frauen da draußen ganz ähnlich geht wie mir und dass sie vermutlich für solche Situationen auch keine Lösungen haben.

 

Schöne Kleidung ist eine Lösung

Nachdem ich mich diesen beschämenden Gefühlen stellte, waren sie zwar nicht weg, aber sie verloren an Schwere. Denn in dem Moment, als ich realisierte, dass ich damit nicht alleine bin, fühlte ich mich eben nicht mehr als Alien. Wir sind viele! Es ist an der Zeit, dass noch mehr von uns den Mund aufmachen und überall dort, wo sie Einfluß haben, diesen Einfluß auch wahrnehmen.

Deswegen glaube ich sehr wohl, dass gut passende Kleidung eine Lösung ist. Denn wenn wir uns “wohl in unserer Haut fühlen” – und gute Kleidung gehört in jeden Fall dazu – dann trauen wir uns auch mehr. Dann trauen wir uns ins Rampenlicht, wir trauen uns sichtbar zu werden und wir sprechen so laut, dass uns jemand hören kann. Verstummen ist keine Lösung. Nähen ist ein Anfang. Ich bin gespannt, wohin uns diese Reise hinführen wird, denn wir sind viele. Ich bin gespannt, wenn wir soweit sind, dass wir auch richtig laut werden.