Wie ihr wisst, arbeite ich auch hin und wieder als Stoffverkäuferin, so richtig im Stoffladen. Das ist wirklich ein toller Job, denn es macht so Spaß, für andere Stoffverrückte zu arbeiten, Stoffverrrückte als Kundinnen zu treffen und glücklich zu machen. Besonders schön finde ich, dass alle Kundinnen glücklich mit ihren Schätzen nach Hause gehen und dass ich ganz nebenbei mein Wissen weiter geben kann. Damit ihr auch etwas davon habt, möchte ich, wie versprochen, in loser Reihenfolge, ein paar Dinge aus meinem Nähkästchen als Stoffverkäuferin erzählen. 

Heute möchte ich darüber schreiben, was es mit Stoffempfehlungen auf Schnittmustern auf sich hat und was zu beachten ist, wenn frau in Erwägung zieht, sich nicht daran zu halten. Schließlich heißt es ja Empfehlung und nicht Gesetz! Doch manchmal bezahlen wir Kreativität mit Ergebnissen für die Tonne. Das muß nicht sein, wenn frau ein paar Dinge beherzigt.

Ganz genau wie das Vorbild

Manche Hobbynäherinnen wollen am liebsten genau den Stoff vernähen, der in einer Schnittmusterzeitschrift abgebildet oder zum Beispiel bei uns im Laden als Dekoration mit dem genähten Kleidungsstück ausgestellt ist. Das kann ich gut verstehen, denn mit einem Schnittmuster kauft frau nicht nur die Expertise, wie frau ihr Nähprojekt umsetzen soll, sondern auch eine Stoffempfehlung. Je näher die Stoffqualität dem Modellbeispiel ist, desto mehr Sicherheit wird gekauft, dass das Nähprojekt gelingen kann.

Außerdem ist es für uns Hobbynäherinnen ja gar nicht so einfach, sich vorzustellen, wie ein Kleidungsstück werden könnte, wenn wir einen Stoff und einen Schnitt kombinieren. Wird sich die gewünschte Materialqualität bewähren und sich genauso verhalten, wie das Stoff des Designbeispiels? Ich kann gut nachvollziehen, dass es schwer fällt, von einer Idee abzuweichen, wenn eine anderes Material eine so schöne Farbe oder ein faszinierendes Muster hat! Wie doof, wenn dann die Stoffverkäuferin Bedenken anmeldet!

Ich verstehe auch, wenn ein Designbeispiel 1:1 mit den identischen Materialien nachgearbeitet wird, denn diese Gefühl “ich weiß, wie es werden wird und bin mir jetzt schon sicher, dass es mir gefällt” ist prima. Für mich allerdings ist das oftmals zu langweilig. Gerade, wenn alle genau diese Umsetzung haben, komme ich mir vor, als hätte ich das genähte Werk irgendwo gekauft. Natürlich ist es relativ unwahrscheinlich, dass meine Sitznachbarin im Bus exakt das gleiche selbstgenähte Ding aus exakt dem gleichen Stoff in der gleichen Farbe trägt wie ich. Aber alleine die Vorstellung, dass das möglich sein könnte, turnt mich ab – lieber mache ich etwas Eigenes.

Ich habe die Wahl – im Rahmen der Vorgaben

In der Regel gibt es zu Schnittmustern ziemlich genaue Stoffempfehlungen. Je ähnlicher sich mein favorisierter Stoff einer Vorgabe anfühlt, umso wahrscheinlicher wird es, dass ich mit meinem genähten Stoff zufrieden werde. Es gibt Stoffbezeichnungen, die sind quasi in aller Munde und uns sehr vertraut, wie zum Beispiel Jeans oder Frottee. Andere Stoffbezeichnungen hingegen klingen exotisch, altmodisch oder schlichtweg nach einer Fachsprache. Es lohnt sich, sich mit dieser Fachsprache vertraut zu machen und dazu empfehle ich gerne das Materiallexikon “Stoff und Faden” von Constanze Derham.

In einem Stoffgeschäft lohnt es sich, erst einmal die vorgeschlagene Stoffqualität zu suchen – fragt einfach eine Verkäuferin und zeigt ihr die Stoffempfehlung. Erst dann “dürft” ihr mit offenen Augen durch das Geschäft laufen, um zu schauen, was euch gefällt. Wenn ihr einmal den empfohlenen Stoff angefasst und euch mit den Materialeigenschaften vertraut gemacht habt, erkennt ihr sehr schnell, ob ein hübscher Favorit geeignet sein könnte, oder nicht. Macht ihr es andersrum, also schaut erst nach hübschen Stoffen, dann ist es sinnvoller auch erst im Nachhinein nach einem passenden Schnitt zu suchen, der sich für so einen Stoff eigenen könnte und falls euch dazu nichts einfällt – fragt die Stoffverkäuferin.

Eigentlich ist es gar nicht so schwer, denn ihr habt ja schon Erfahrungen: ihr wisst, wie sich eure Bekleidung, die ihr bisher in eurem Leben getragen habt, anfühlt und würdet niemals einen Tellerrock aus einem Kunstleder nähen, das für Taschen geignet wäre – es sei denn, ihr wollt unbedingt einen Rock, der hart von euch absteht 🙂

Grundregel: unterscheide zwischen gewebt und gestrickt/gewirkt

Aber nicht jeder Stoff, der sich für uns vertraut anfühlt, hat die richtige Materialeigenschaft für unser nächstes Projekt. Dabei ist besonders ein Unterscheidungsmerkmal wichtig: ist der Stoff dehnbar und wenn ja wie sehr und in welche Richtung.

Gewebte Stoffe sind eher undehnbar sind, wenn sie in die Länge oder Breite gezogen werden. Das liegt daran, dass sie in einen Webrahmen gespannt hergestellt werden. In der häufig verwendeten Leinwandbindung, werden die Fäden tatsächlich in einer Art Gitter gewebt. Da dehnt sich nix – es sei denn, es wurde Elasthan (eine Art Gummifaden) mit verwebt. Dazu später mehr.

Gewebte Stoffe sind nur im schrägen Fadenlauf elastisch, das heißt, wenn sie diagonal zur Webkante gezogen werden. Diese Eigenschaft wird manchmal bei Schnittmuster genutzt, um einzelne Teile des Kleidungsstücks nachgiebig zu machen oder um einen “schönen Fall” zu erzeugen. Aber in der Regel werden gewebte Stoffe “im Fadenlauf” verarbeitet und es ist durchaus gewollt, dass der Stoff nicht elastisch ist. Aber das ist ein anderes Thema.

Wenn das Kleidungsstück aus Webware genäht werden soll, aber trotzdem gemütlicher sein soll, dann wird heutzutage gerne Elasthan verwendet. Ihr kennt das – heutzutage gibt es ja kaum noch Jeans ohne Elasthan zu kaufen. Die Art und Weise, wie der Stoff verwendet wird, ist aber identisch mit einem Stoff ohne Elasthan, alleine das Tragegefühl ist etwas angenehmer, weil der Stoff nachgibt. Ich vermute das liegt an der allgemeinen “Jogginghosiisierung der Gesellschaft” aber das ist auch ein anderes Thema.

“Mit Elastan” ist nicht gleichbedeutend “elastische Stoffe”

Aber Vorsicht: nur weil ein Stoff durch Elasthan elastisch gemacht wurde, heißt das nicht, dass er für ein Schnittmuster für elastische Stoffe verwendet werden darf. Mit elastischen Stoffen sind gestrickte oder gewirkte Stoffe gemeint, die Masche für Masche entstehen, und eben nicht gewebt sind. Solche Stoffe werden von Hobbynäherinnen gerne “Jersey” genannt und das stimmt auch oft. Aber es ganz präzise ist das immer noch nicht.

Es gibt auch gestrickte oder gewirkte Stoffe mit Elasthan-Anteil. Hier wird das Elasthan dafür verwendet, dass der Stoff nach der Dehnung eine gute Rücksprungkraft hat. Das ist zum Beispiel schön für Leggins, damit diese am Knie nicht so beulen. Elastisch ist der Stoff aber eben nicht durch das Elasthan, sondern durch die Art und Weise, wie aus einem Faden das Material hergestellt wurde.

Die/der DesignerIn hat sich was dabei gedacht

Zu den Schnittmustern ist zu sagen: wenn ein Schnittmuster für Webware konstruiert ist, dann wird es irgendwo eine Möglichkeit enthalten, in das Kleidungsstück hinein zu kommen, in dem an einer engen Stelle eine Öffnung (zum Beispiel ein Reißverschluß oder Knöpfe) eingebaut sind. Es gibt nur wenige Bekleidungsstücke aus Webware, in die du einfach hineinschlüpfen kannst – in der aktuellen Oversizemode ist das allerdings häufiger der Fall. Aber Moden ändern sich auch wieder. Ein Kleidungsstück aus gestricktem oder gewirkten Stoff ist hingegen so elastisch, so dass du ein Oberteil oder Kleid einfach über den Kopf ziehen kannst oder ein Rock oder eine Hose über die Hüften bekommst.

Willst du also ein Schnittmuster für Webware aus elastischen Stoffen nähen, dann brauchst du diese Öffnung vermutlich nicht, weil du auch so in das Kleidungsstück hineinkommen würdest. Es könnte aber durchaus sein, dass dir das Kleidungsstück dann insgesamt zu weit wird, denn das Schnittmuster für Webware hat nicht nur Öffnungen zu Ein- und Ausstieg, sondern auch noch Bequemlichkeitszugaben, die notwendig sind, um im angezogenen Zustand Luft zu bekommen und sich zu bewegen.

Auch wenn nicht jedes Schnittmuster für gestrickte oder gewirkte Stoffe mit negativen Bewegungszugaben designt ist, also wie eine zweite Haut sitzen soll, ist doch zu berücksichtigen, dass Schnittmuster eher knapp sind. Nur eine Öffnung anzubringen, funktioniert vermutlich nicht, wenn du das Schnittmuster nun aus Webware nähen willst – du solltest die Weite der Schnittteile nachmessen und dich ggf. für eine oder zwei Nummern größer entscheiden, falls du keine Wursthaut nähen möchtest.

Denk daran, nicht nur die Weite an Vorder- und Rückenteil auszumessen. Gerade die Ärmel können zum Problem werden, wenn du Webware verwenden willst, es sich aber um Shirtschnittmuster handelt, das für elastische Stoffe vorgesehen ist. Das geht in der Regel schief und gerade bei einem Kleidungsstück mit Ärmeln mußt du dann noch mehr basteln, um ein wirklich funktionierendes Kleidungsstück zu bekommen, denn Shirtärmel sind in der Regel eng, das Armloch klein und die Armkugel anders, als bei Schnittmustern für Webware.

Jetzt beginnt die Kreativität

Wenn du diese Grundregeln beherzigst, ist vieles möglich. Du kannst in der Tat mit etwas Materialkenntnis Stoffempfehlungen bewußt brechen und dich dafür entscheiden, ein ganz anderes Material zu verwenden – wenn du das eben bewußt machst. Du mußt einkalkulieren, das du irgendwie in das Kleidungsstück hineinkommen mußt und dass es eine irgendwie geigente Weite braucht.

Wenn du die Funktionalität berücksichtigst, kann du mit einer “interessanten Stoffwahl” aber ganz eigene Effekte erzielen. Ich finde, dass zum Beispiel gerade bei Röcken sich die Silhouette extrem interessant verändert, je nachdem wie weich das Material fällt, oder ob es so steif ist, dass der Rock stand bekommt. Gerade bei einfachen Röcken lohnt es sich auszuprobieren und ein wenig mit Material zu spielen. Letztlich lernen wir genau dann, wenn wir es ausprobiert haben und manchmal auch Lösungen für einen Reinfall finden müssen.

Da Stoff aber nicht immer billig und unsere Zeit wertvoll ist, lohnt es sich, sich mit den Materialempfehlungen von Schnittmustern vertraut zu machen, Stoffverkäuferinnen auszuquetschen und Materiallexika zu lesen. Je besser wir uns mit Stoffen auskennen, desto besser wird unsere Erfolgswahrscheinlichkeit bei unseren Nähwerken. Mir macht das sehr viel Spaß, unbekannte Stoffnamen nachzuschlagen und neue Materialien zu befühlen und zu untersuchen. Natürlich zählt für mich bei einem Kleidungsstück auch ganz oft zunächst Farbe und Muster, aber richtig gut wird es, wenn ich die perfekte Materialqualität gefunden habe, die sich genauso verhält, wie ich es mir in meinen Träumen ausgemalt habe.

Wenn ihr mehr darüber wissen wollt, was ihr berücksichtigen müsst, um Stoffqualitäten auzutauschen, dann lest zum Beispiel meinen Blogbeitrag vom letzten Jahr “Webware oder Jersey” aus dem heraus ich den  gleichnamigen Workshop entwickelt habe, den ich am Samstag auf der Stoffmesse gebe. Vielleicht sehen wir uns ja auch am Samstag. Es gibt noch Tickets für den Workshop – ich würde mich freuen!

Außerdem bringe ich zur Nähmesse auch Kleidung, die nach unseren Schnittmustern genäht wurde zum anfassen und anprobieren mit. Und auch wenn ich am Samstag keinen Stoff verkaufe, so stehe ich euch doch mit meiner Expertise als Stoffverkäuferin zu Verfügung. Kommt einfach außerhalb der Workshopzeiten vorbei!