Ein altes Bild – das Kleid trage ich gerne, die Stiefel nicht.

Vor ein paar Tagen sah ich eine Frau in schönem Outfit. Zu Rock und Strickjacke trug sie ein paar Stiefel. Das gefiel mir ausgesprochen gut und ich fragte mich, warum ich eigentlich nie meine schwarzen Stiefel trage. Was war ich damals glücklich gewesen, als ich diesen Internethandel entdeckte, der Weitschaftstiefel mit Weite nach Wunsch anbot. Die Stiefel waren nicht billig, ich war glücklich, als ich sie bestellte. Aber ich zog sie selten an.

Nachdem ich die Stiefel aus dem Schrank holte und anschaute, erkannte ich das Problem. Ja, ich hatte endlich Stiefel gefunden, die an meinen strammen Waden passen. Aber ich mochte nie, wie weit sie um das Fußgelenk schlodderten. “Endlich passende Stiefel!” stimmte einfach nicht. Sie passen im Sinne von “ich bekomme den Reißverschluß zu”, aber sie passen insgesamt nicht gut an meine Beine.

Jeder Mensch ist anders

Genau das ist das Problem von Kaufkleidung. Gerade im Plus-Size-Bereich ist einfach alles nur weit, damit es auch möglichst allen passt. So entstehen Walle-Walle-Silhouetten. Nicht zwangsläufig, weil kaschiert werden sondern eben auf Nummer sicher. Kleidung wird einfach überall weiter gemacht. Doch jeder Mensch ist anders.

Meine Beine sind zwar an den Waden dick, aber an den Gelenken eben nicht. Genau das, was meine Beine schön macht, ist in diesen Stiefeln nicht zu erkennen. Oder anders gesagt “die Stiefel tun nix für mich”. Deswegen sind es nicht die richtigen Stiefel für mich und genau deswegen zog ich sie auch selten an, ohne genau zu wissen, warum.

Vielfalt rulz – Vielfalt ist wertvoll

Dieses Gedanken bewegten mich in den letzten Tagen und plötzlich verstand ich, dass mich diese Stiefelgeschichte nicht ärgern sollte. Im Gegenteil: die Stiefel lehren mich, nicht zu vergessen, worauf es ankommt. “Vielfalt ist wertvoll” ist meine Haltung und genau diese Überzeugung gibt mir die Kraft, alles dafür zu tun, Menschen zu helfen, bessere Kleidung für sich zu nähen. “Wir sind alle unterschiedlich”, “jeder Körper ist besonders”, “schöne Kleidung macht stark” und “du darfst schon heute glücklich” sei – diese Überzeugungen leiten mein Tun; manchmal vergesse ich das in der Hektik des Alltags.

Es tut uns nicht gut, irgendwelche Klamotten anzuhaben, die irgendwie passen. Kleidung ist die äußere Hülle, mit der wir der Welt begegnen. Wenn diese Kleidung gut (zu) uns passt, dann werden wir schon auf den ersten Blick so wahrgenommen, wie wir gesehen werden wollen und können uns in Ruhe darum kümmern, was wirklich wichtig ist. Nichts engt ein, nicht zuppelt, die Kleidung unterstreicht unsere Vorteile und rückt das was besonders schön ist, ins rechte Licht. Ganz entspannt können wir sein, wir können unser Potential entfalten und uns auf das konzentrieren, was wir wollen.

Passende Kleidung macht stark und schön

Das ist der Grund, wieso mich das Nähen von Kleidung begeistert. Es ist Zufall, wenn etwas, das uns zum Kauf angeboten wird – sei es ein Kleidungsstück oder auch ein Schnittmuster – einfach so passt. Die Wahrscheinlichkeit ist extrem groß, dass es noch besser werden würde, wenn unser Körper, so wie er wirklich ist, bei der Herstellung berücksichtig werden würde. Wie großartig ist es doch, dass wir genau das lernen können: Dinge für uns herzustellen, die richtig gut für uns sind!

Im Alltagstrubel vergesse ich oft, dass das mein Antrieb ist. Das Nähen, die Schnittmuster, das Schnittmuster anpassen sind die Wege zum Ziel. Eigentlich geht es mir darum, Menschen zu helfen, tolle Kleidung für sich herzustellen. Und dann träume ich: was wäre, wenn wir Frauen, statt zu jammern, statt an uns selbst herumzumäkeln, statt ständig irgendetwas an uns optimieren zu wollen, einfach stark und schön in unserer selbstgemachter Kleidung wären und die Ruhe und die Kraft hätten, um uns um die wirklich wichtigen Dinge zu kümmern. Die Gesellschaft wäre eine andere!

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