– oder: Vom individuellen Gestaltungsspielraum bis zur kollektiven Chance, die Welt zu verändern

Kleidung ist wichtig. Gut passende Kleidung macht schön und stark. Das Individuum kann durch die Wahl der Kleidung Individualität und Gruppenzugehörigkeit ausdrücken. Es ist ein von der Natur aus unterdefinierter Raum, der uns die Gelegenheit gibt, unsere Grenze zur Umwelt zu definieren und zu entscheiden, wie wir wahrgenommen werden wollen. Was bedeutet das kollektiv für uns?


In diesem Blogpost bekommst du eine Zusammenfassung der Inhalte der Podcastepisode. Im Podcast selbst, erzähle ich noch etwas ausführlicher.

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Darum geht es in Episode #38

Kleidung ist wichtig. Gut passende Kleidung macht schön und stark. Das Individuum kann durch die Wahl der Kleidung Individualität und Gruppenzugehörigkeit ausdrücken. Es ist ein von der Natur aus unterdefinierter Raum, der uns die Gelegenheit gibt, unsere Grenze zur Umwelt zu definieren und zu entscheiden, wie wir wahrgenommen werden wollen. Was bedeutet das kollektiv für uns?

Kleidung unterscheidet den Menschen vom Tier. Er kann sich den Schutz, den z.B. Fell bieten würde, selbst gestalten, ohne die Sensitivität der Haut einzubüßen. Mittlerweile sind wir fähig ganz unterschiedliche Varianten von „Schutz“ zu gestalten. Die vielen Möglichkeiten schaffen die Qual der Wahl. Die Entscheidung hängt von ganz vielen Faktoren ab, denn Kleidung ist weit aus mehr als Wetterschutz – sie definiert uns. 

 

Wer bin ich? Wie will ich aussehen?

Insbesondere in der Pubertät, aber auch später immer mal wieder (insbesondere in Umbruchsphasen) sind wir auf der Suche nach dem „Wer bin ich?“ Wir versuchen z.b. mit Kleidung, verschiedenen Gruppen anzugehören. Das klappt mal besser, mal schlechter. Manchmal erlaubt es uns unser Geldbeutel, einfach das zu kaufen, was diese Gruppe trägt. Manchmal nicht. Manchmal passt uns das nicht, was wir haben wollen (ich war zu dick für bestimmte Marken, die angesagt waren), manchmal passt es im übertragenen Sinne nicht zu uns. Manchmal sind die Stilregeln nicht so einfach zu verstehen, wir machen etwas falsch und fühlen uns nicht richtig. 

Es gibt so viele Erwartungen, wie jemand auszusehen hat, die unsere Wünsche, wie wir aussehen wollen determinieren.

  • Wie sieht eine Frau aus (im Gegensatz zu einem Mann)
  • Wie sieht jemand aus, die diesen Beruf hat?
  • Wie sieht eine Frau eines bestimmten Alters aus?
  • Wie sieht eine Frau aus, die in der Stadt/auf dem Land, in Deutschland oder Afrika wohnt?

Alle diese Erwartungen, die scheinbar an uns heran getragen werden, limittieren uns. Insbesondere dann, wenn wir Kaufkleidung tragen. Manches gibt es nicht, manches können wir uns nicht leisten. Manches probieren wir erst gar nicht, weil es sich nicht schickt. Manches gefällt uns schlichtweg nicht, weil es sich aus vielleicht undefinierbaren Gründen nicht gut anfühlt. 

 

Als Designerin deiner Kleidung hast du schier unendliche Möglichkeiten des Selbstausdrucks

Selbstgenähte Kleidung gibt uns die Chance, noch kreativer auf die Suche danach zu gehen, was für Kleidung uns entspricht. Wir können frei Materialien und Schnitte kombinieren auf der Suche nach uns selbst und unserer Rolle. Dabei können wir uns auch mit unserer Weiblichkeit und unserem Blick auf Weiblichkeit auseinandersetzen und mit Kleidung spielerisch ausprobieren, wer wir sind und wer wir sein wollen. 

Wenn wir unsere Kleidung selbst nähen, dann stehen uns plötzlich alle Möglichkeiten zur Verfügung. Ich hätte niemals Retrokleider getragen, hätte ich sie mir nicht selbst genäht, denn ich hätte nicht gewußt, wo ich sowas hätte kaufen können. Aber es waren nicht irgendwelche Retrokleider. Diese Kleider sind in mir, aus mir selbst heraus entstanden, in dem ich den Stoff auswählte, den Schnitt auswählte, mir Details überlegte, entstand etwas ganz eigenes (das zugegeben immer noch orientiert an einer Gruppe war, aber zumindest den eigenen Horizont öffnete, weil diese Gruppe eben nicht so aussah, wie der Mainstream). Mit der Zeit realisierte ich immer mehr Kleidungsstücke aus meinem Kopfkleiderschrank und näherte mich immer mehr der Frau an, die ich bin und die ich sein will. Nähen braucht seine Zeit, also hatte ich meine Zeit, um in meine Garderobe hinein zu wachsen. 

 

Gemeinsam auf der Suche nach dem wahren Ich

Im Kreise der Hobbynäherinnen fand ich durch die Nähbloggerinnen, die sich jahrelang wöchentlich zum MeMadeMittwoch trafen Gleichgesinnte, die sich mit mir zusammen auf den Weg machten, herauszufinden, was sie eigentlich gerne tragen wollen. Ich sah, wie sich Frauen veränderten, sich entwickelten. Wir gingen gemeinsam einen Weg, begleiteten uns mit Rat und Unterstützung, aber wir gingen jede unseren Weg, auf der Suche nach uns selbst. 

Vielleicht war es sogar eine Chance, dass es so wenig öffentliche und mediale Vorbilder dafür gibt, wie eine Frau mittleren Alters auszusehen hat, denn das hätte uns ja auch limitiert. Durch das Nähen hatten wir alle Möglichkeiten offen. Das Leben fühlte sich an wie ein unendlichgroßer Stoff- und Kurzwarenladen, aus dem wir uns bedienen durften. Durch das Nähen wurde alles möglich. Jede Kombination aus Farbe, Form und obendrauf noch ein Schleifchen oder eine Paspel. 

 

Vielfalt als Chance

Die bürgerliche Männermode setzt seit 200 Jahren auf Gleichförmigkeit. Die meisten Männer stören sich nicht daran, genauso auszusehen, wie ihr Kollege oder ihr Nachbar. Wie in der letzten Episode schon erzählt, ist die Männerhose, wie wir sie kennen, seit Ewigkeiten gleich, denn sie hat sich bewährt. Nur die jungen Männer tragen immer mal Extreme: baggy Rapperhosen oder zur Zeit die engen Hosen mit den freiliegenden Knöcheln. Der erwachsene Mann sieht fast so aus, wie sein Großvater. 

Frauen haben häufig ein größeres Interesse an Mode, an Variationen, an Ausprobieren, an dem Spiel mit Farben und Form, mit Variation und Experiment, kurz: mit Vielfalt. Das führt mich zu meiner These: das ist genau das, was unsere Gesellschaft heutzutage braucht. Die Zeiten des „alten weißen Mannes“, der am Ruder ist, der die kulturelle und die politische Vorherrschaft ist, ist vorbei – hoffentlich. Noch sind sie an den Schaltstellen der Macht die Männer, die sich genau dorthin befördert haben, weil sie sich gleichen. Aber mein Eindruck ist, dass mit ihren Kompetenzen und bewährten Vorgehensweisen die Probleme unserer Zeit wie z.B. der Klimawandel oder das Erstarken der Rechten nicht zu lösen sind. Unsere Gesellschaft wird immer diverser. Wir sind Multikulti, das Verständnis einer binären Geschlechtsordnung, die davon ausgeht, dass es nur Männlein und Weiblein gibt, löst sich auf und zu Recht erstarken die Stimmen aller diskriminierten Gruppen und fordern gleich viel wert zu sein und gleiche Rechte zu haben.

Wir als Gesellschaft müssen uns damit auseinandersetzen, dass es nicht mehr sein kann, Menschen mit anderer Hautfarbe zu diskriminieren, Menschen, die kein Mann sind zu diskriminieren, dicke Menschen zu diskriminieren, Menschen, die nicht laufen, sehen oder hören können oder psychische Probleme haben, Menschen deren Körper oder Geist eingeschränkt funktioniert zu diskriminieren. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass wir alle unterschiedlich sind und alle das Recht haben, unsere Welt gleichberechtigt mitzugestalten. 

 

Bring dich und deine Kompetenzen ein, um die Welt zu verändern

Meine Hypothese ist, dass es unserer Gesellschaft es verdammt gut tun würde, wenn wir „Frauen mit unserer Lust an Farbe, Form und Vielfalt, an Schleifchen und Paspel, uns mit unseren Kompetenzen mit einbringen würden. Uns kann man auch nicht über einen Kamm scheren. Wenn wir uns trauen, so auszusehen wie wir sind und wenn wir uns trauen uns so zu zeigen, wie wir sind, dann sind wir schon gelebte Vielfalt. Ich vermute sehr stark, dass uns das auch viel leichter macht, andere, die anders sind zu sehen, mit anderen, die anders sind, ins Gespräch zu kommen, andere die anders sind zu tolerieren und akzeptieren. 

Doch das gelingt uns erst, wenn wir die Erwartungen an uns und in unserem Kopf sprengen und wirklich herauszufinden, wer wir sind, wie wir aussehen wollen und was wir zu bieten haben. Ich habe es erlebt, dass das Nähen meiner Garderobe ein großer Selbsterfahrungsprozess war, in dem ich Stück für Stück das ich nähte, mir näher kam. Das Bewusstsein und der stolz darüber, das mit eigenen Händen geschaffen zu haben, gab mir Kraft und Stärke mich zu trauen sichtbar zu sein, meine Meinung zu sagen und zu glauben, dass ich die Welt ein Stück weit zu einem besseren machen kann. Das ist die Macht und Magie der Kleidung und des Nähens der eigenen Kleidung. Ich finde das großartig. 

Shownotes:

curvy-November in der curvy-crafteln-Facebookgruppe

Me-Made-Mittwoch – Online-Linkparty, bei der seit vielen Jahren regelmäßig selbstgenähte Kleidung gezeigt wird.

Mehr Informationen zum erwähnten FBA-Kurs *klick*.