– eine XXL Episode
Heute habe ich eine spannende These für dich: Wir müssen unseren Körper gar nicht ablehnen oder hassen. Das wurde uns nur eingeredet und es ist Zeit, ganz andere Gedanken über Körper, insbesondere dicke Körper, in der Welt zu verbreiten. Seit 50 Jahren gibt es soziale Bewegungen, die aufklären sowie Lösungen suchen und anbieten, um strukturelle Diskriminierung Dicker abzuschaffen. Dass es mittlerweile Hashtags wie #Body Positivity gibt, hat damit nur am Rande zu tun, denn da geht es noch mal um etwas Anderes. Grund genug, sich mal mit den Gedanken der Fat-Aktivistinnen zu beschäftigen, um eine eigene Haltung zu entwickeln.
In diesem Blogpost bekommst du eine Zusammenfassung der Inhalte der Podcastepisode. Im Podcast selbst, erzähle ich noch etwas ausführlicher.
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Darum geht es in Episode #64
Heute möchte ich euch etwas über Bücher und Menschen erzählen, die mich prägten und beeindrucken. Es geht natürlich um Körper, denn wir befinden uns in der 6. Staffel des Passt Podcast von crafteln, in dem es um Körper, insbesondere um dicke Körper geht.
Ich werde etwas über Körperakzptanzbewegungen von Fat Liberation bis Body Positivity erzählen. Warum? Weil ich glaube, dass es für viele Menschen hilfreich sein kann, wenn sie bemerken, dass sie nicht alleine sind. Was unsere Körper anbelangt, sind wir oft in einem Zustand der Scham gefangen. Dabei haben wir alle Körper! Diese sind nur eben unterschiedlich. Das Problem ist, dass Körper – besonders dicke Körper – eben auch bewertet werden und ganz objektiv Probleme bereiten. Nicht, weil es dicke Körper sind, sondern weil es ein Problem mit dicken Körpern gibt. Dazu haben sich eine Menge Menschen in den letzten Jahrzehnten Gedanken gemacht und eine kleine Auswahl dazu, möchte ich in der heutigen Podcast-Episode mit euch teilen. Am Ende der Episode und in den Shownotes präsentiere ich euch noch eine kleine Auswahl an ganz unterschiedlichen, deutschsprachigen Büchern zum Einstieg in das Thema, denn hier im Podcast, kann ich viele Themen nur ganz kurz anreißen. Aber immerhin. Vielleicht hast du das eine oder andere noch nie gehört. Dann wird es wirklich Zeit dafür – finde ich.
Dickendiskriminierung geht uns alle an, denn alle Menschen haben Respekt verdient
Achja: Falls du jetzt denkst „das betrifft mich alles doch gar nicht“, dann lade ich dich trotzdem dazu ein, weiter zuzuhören bzw. hier weiterzulesen. Selbst, wenn dich vieles oder gar nichts persönlich betrifft, gibt es genügend Menschen um dich herum, die das betrifft. Wie wäre es, wenn wir unsere Welt mit Verständnis und Respekt für andere (und uns selbst) ein bisschen besser machen? Spoiler, es geht nicht immer nur um dich oder mich oder jede selbst – aber manchmal hat das dann doch ganz viel mit uns zu tun.
Ich glaube, das Thema betrifft uns alle irgendwie. Vielleicht fühlen sich die einen krasser angesprochen als andere. Es ist natürlich ein Unterschied, ob jemand sich dick fühlt, dick ist oder wirklich sehr dick ist. Aber wir alle leben in dieser Gesellschaft, in der Dick-sein anscheinend etwas ganz furchtbares ist – zumindest wird uns das so verkauft. Egal, wie unser Körper letztlich aussieht, wir müssen uns alle mit den Abwertungen dicker Körper auseinander setzen, denn sie betreffen uns alle. Oder anders gesagt: Hebe die Hand, wenn du noch nie eine Diät gemacht hast. Tja.
Was ist das Problem?
Dicke Körper sind ein Problem
Das dicke Körper ein Problem sind, wird uns zumindest von früher Kindheit an immer wieder vermittelt. Nicht immer wird klar benannt, was damit gemeint ist. Aber wir verstehen die Botschaften und verinnerlichen sie. Irgendwann fangen wir an zu glauben, dass mit uns etwas nicht stimmt, wenn unser Körper dicker ist, als er angeblich sein soll. Wir fangen uns an zu schämen und noch krasser: wir versuchen unseren Körper zu verändern.
Es gibt unzählige Studien* dazu, wie früh Kinder, insbesondere Mädchen, damit anfangen, Diät zu halten und wie oft sie das in ihrem Leben machen. Leider gibt es auch unzählige Studien darüber, wie wenig diese Diäten funktionieren. Viele junge und ältere Menschen, geraten dann in einen Kreislauf hinein und hangeln sich von einer Diät zu der nächsten (oder entwickeln krasse, auch oftmals tödliche Essstörungen) und werden dabei immer dicker. Ich kann davon ein Lied singen und du vielleicht auch.
* Am Ende des Beitrags gibt es vier Buchempfehlungen. Alle Hinweise auf Studien sind aus diesen Büchern. Da dies hier kein wissenschaftlicher Beitrag sondern der Blogpost zu einer Podcastepisode bist, gönne ich mir die Bequemlichkeit, kein ausführliches Quellenverzeichnis zu liefern.
Gewichtsverlust funktioniert leider in den allerseltensten Fällen auf Dauer
Diäten funktionieren leider nur in den allerseltensten Fällen. Klar, es ist leicht, ein paar oder sogar sehr viele Kilo abzunehmen. Ich habe 3 x in meinem Leben über 25 kg abgenommen. Das geht. Es ist voll einfach: Du mußt einfach nur wenig essen und dich viel bewegen. Dieses „es funktioniert doch“ ist am Anfang ein Rausch. Frau kommt sich vor, als hätte sie den heiligen Gral entdeckt bis sie bemerkt, dass es nur funktioniert dünn zu bleiben, wenn ein Leben lang gehungert wird und wenn ein Leben lang viel Zeit und Energie dafür aufgewandt wird, Sport zu treiben. Wird diese Abnehm-Phase abgebrochen und sei es auch nur mit einer kleinen Ausnahme hier und einer kleinen Ausnahme dort, kommt unvermeidlich der Jojo-Effekt, mehr Gewicht, größere Kleidung und eine große Portion Scham, versagt zu haben.
Aber warum schinden wir uns so? Ganz einfach, weil es das aller, allerschlimmste ist, dick zu sein. Den Zugang zu einem guten Leben gibt es nur, wenn wir alles richtig machen. Wer dick ist, macht alles falsch und hat es nicht verdient, ein gutes Leben zu haben. Das glauben die Menschen.
Dick-sein ist das aller-aller-schlimmste, was sich Menschen vorstellen können
Viele Menschen wollen alles andere lieber, als dick zu sein. 1991 erschien eine Studie im Journal of Obesity, in der Menschen, die früher dick waren vor die wahlgestellt wurden, ob sie lieber „normalgewichtig“ wären oder Multimillionär*innen. Sie entschieden sich für „normalgewichtig“. Das taten sie auch, als wie gefragt wurden, ob sie alternativ lieber dick wären oder taub, herzkrank, ein Bein amputiert bekommen würden. In einer anderen Studie erklärten Menschen, sie wollten lieber ein Jahr ihres Lebens opfern, als dick zu sein.
Ist das nicht krass?
Mir war klar, dass ein dicker Körper nicht supidupi ist, aber dass Menschen so krass über andere und sich selbst denken, das wusste ich schlichtweg nicht.
Vielleicht wusste ich es nicht, weil ich so viel Zeit in meinem Leben damit verbracht habe, alle die beschämenden Momente, die Bemerkungen, die mich verletzten und Begegnungen, die mich traumatisierten zu vergessen?
Dickendiskriminierung wird nicht geahndet – Hasskommentare und Beleidigungen sind normaler Alltag
Mir wurde mit der Zeit klar, dass es nicht mich meint, wenn mich jemand aufgrund meiner Körperfülle beleidigt. Eigentlich sagt so eine Bemerkung ja viel mehr über die Sender*in aus, als über mich. Wenn Menschen glauben, dass dicke Menschen irgendwann unser auf Solidarität aufgebautes Gesundheitssystem sprengen, dann haben sie gefühlt ein Recht darauf, mich zu beleidigen, weil in ihnen drin eine große Angst ist. Die Angst davor, dass der gesellschaftliche Wohlstand in Gefahr sein könnte und den Angst vor Abstieg. Wir kennen das aus anderen Themenfeldern, dass die Schuld für eine (mögliche) Veränderung unserer Lebensverhältnisse bei anderen, bei Schwächeren gesucht wird. Da werden Menschen abgewertet, um sich selbst kurzfristig besser zu fühlen.
Mittlerweile kann ich damit einigermaßen umgehen, wenn ich mit Dicken-Hass konfrontiert werde. Aber 2014 bis 2016, als ich das Blog “Abschaffung der Problemzonen” auf stern.de schrieb, konnte ich das noch nicht. Menschen verabredeten sich, um mich in den Kommentaren des Blogs fertig zu machen und ich war so naiv, darauf zu antworten. Früher tat man das. Heutzutage ist der Hass im Internet bekannter und auch Strategien, wie mensch damit umgehen kann.
Dreiviertel der Frauen in Ländern, die genügend Nahrung für alle haben, hungern freiwillig um den Ansprüchen zu genügen
Dicke Menschen werden nicht nur zu einer gesellschaftlichen Belastung erklärt, sondern auch persönlich verantwortlich für ihr Körpergewicht gemacht. Kennen wir alle, diese Überzeugung, dass es doch nur darum geht, weniger Energie dem Körper zuzuführen, als er verbraucht und zack fallen die Kilos. Dass diese mathematische Gleichung nicht so einfach ist, ist mittlerweile wissenschaftlich bewiesen. Mehr noch, mittlerweile weiß man, dass die mit dem Dicksein verbundenen Leiden unter Diskriminierung so viel Stress auslösen, dass Krankheiten – die eigentlich aufgrund des Körpergewichts Ursache sein sollen – dadurch erzeugt werden.
Es gibt dazu viele Forschungen, insbesondere im englischsprachtigen Bereich, seit Mitte der 2000er Jahre. Umso wichtiger ist, dass sich das allmählich auch bei uns herumspricht, denn hier ist es nicht anders. Laut einer Umfrage der Krankenkasse DAK zufolge, finden 71 Prozent dicke Menschen unästhetisch, 15 % vermeiden bewußt den Kontakt zu ihnen und 37 % der Befragten sorgten sich ständig, bereits zu dick zu sein oder es womöglich zu werden.
Oder anders gesagt: In den Ländern, in denen genug Nahrung vorhanden ist, hungern 3/4 aller Frauen täglich, um den angeblichen Ansprüchen zu genügen und um ja nicht zu viel Raum einzunehmen. (Laury Penny)
Wann wurde das Dicksein zu etwas Schlechtem?
Die Frage, die sich mir stellte ist, seit wann ist das so? Wann wurde das Dicksein zu etwas Schlechtem? Angeblich hat sich die Einstellung in den USA zu dicken Körpern zwischen 1880er und 1920er Jahren gewandelt. Während dieser Zeit veränderte sich die Wirtschaft – aus dem vorher landwirtschaftlich geprägtem Land wurde eine Industrienation. Es gab mehr Essen – genug für alle. Als sich alle auf einmal mehr als genug Essen leisten konnten, war ein gut genährter Körper nichts erstrebendwertes mehr. Mit der verstärkten Einwandung wollten sich gut situierte nordeuropische-stämmige Amerikaner*innen von den eher untersetzten Einwander*innen absetzen. Ärzte unterstützten den Trend mit Waagen, dem Zählen von Kalorien und Behandlungen zur Gewichtsabnahme. Zack, waren wir dort, wo wir heute nach mehr als 100 Jahren später und theoretisch schlauer, immer noch sind.
Derartige Erkenntnisse erfuhr ich aus Büchern über Fat Acceptance. Manches, was ich schon gefühlt hatte, bestätigte sich durch die Lektüre, bei anderen Dingen war schockiert oder aber erleichtert. Am Ende der Episode werde ich euch 4 Bücher aus meinem Bücherschrank vorstellen. Aber jetzt will ich euch erstmal davon erzählen, dass schon seit ungefähr 50 Jahren dicke Frauen für eine bessere Welt kämpfen. Unzählige Frauen (und einige wenige Männer) machen also seit einem halben Jahrzehnt darauf aufmerksam, dass ein dicker Körper nicht per se ungesund ist, dass es wirtschaftliche Interessen hinter vordergründig gut gemeinten Ratschlägen gibt und dass Diskriminierung aufgrund des Aussehens schon mal gar nicht geht.
Size Acceptance Movement -Bewegungen für Körpergewichtsunabhängige Akzeptanz
Nochmal zur Erinnerung: Wie schon in der letzten Podcastepisode, spreche ich von Fett, denn darum geht es und so nenen sich die Aktivistinnen auch aus gutem Grund Fett-Aktivistinnen. Wenn wir Fett durch Körper ersetzen, verlieren wir aus den Augen, was der Kern des Problem ist: der Hass auf Fett und dicke Menschen. Deswegen dürfen wir nicht den Unternehmen und den Influencern das Thema überlassen, nicht dem Thema das Gewicht nehmen, in dem wir schmuseweiche Begriffe nutzen, sondern müssen auch die Geschichte erzählen, wer und weshalb den Kampf namens Fett-Aktivismus begann. Damit ist nicht der persönliche Kampf gegen Körperscham und für mehr Selbstvertrauen gemeint, sondern die gemeinschaftliche, bewußte Thematisierung der gesellschaftlichen Hintergründe und der Kampf gegen Diskriminierung.
Es begann Ender der 60er Jahre mit der Gründung der NAAFA (National Association to Advance Fat Acceptance) durch William Fabrey – die gibt es noch heute und ist den USA die wichtigste Organisation, die sich für eine Abschaffung gewichtsbedingter Diskriminierung einsetzt. Wenn ich das richtig verstanden habe, ging es aber auch erst einmal darum, Räume für dicke Menschen zu schaffen, in denen sie sich treffen und wohlfühlen können. Aus dieser Gruppe heraus entwickelte sich der „Fat Underground, um strukturelle Gründe aufzuzeigen, was schief läuft, d.h. um deutlich zu machen, dass dicken Menschen diskriminiert werden. Diesen Frauen war es egal, ob Lieschen Müller ihre Kurven liebt – sie wollten einfach frei sein, anerkannt und respektiert werden. Vom Fat Underground stammt das „Fat Liberation Manifesto“. In diesem Manifest wird Respekt für dicke Menschen gefordert und sich über die Benachteiligung aus kommerziellen und sexistischen Interessen empört. Die Autorinnen rufen zum Kampf für gleiche Rechte auf und erklären die sogenannte „Abnehm-Industrie“ zu ihrem besonderen Feind. Das Manifest endet mit „Dicke aller Länder vereinigt Euch! Ihr habt nichts zu verlieren!“ oder in Kurzform gesagt: Rots not Diets.
Erwähnenswert finde ich auch noch die „Health at Every Size-Bewegung“ , die sich dafür einsetzt dass mehr Menschen klar wird, dass wir die Gesundheit und Fitness von Menschen nicht einfach von ihrem äußeren Erscheinungsbild ablesen können. Ziel ist es, Genuß am Essen und Spaß an der Bewegung zu vermitteln, egal, wieviele ein Mensch wiegt, also eben nicht das Gewicht und den Körperumfang in den Fokus zu legen. Sehr einprägsam finde ich folgende Aussage über Diäten und Fitnessprogramme: „Es ist, als würde man einem Berhardiner so lange nicht zu fressen geben, bis er ganz mager ist, weil einer Studie über Hund zufolge Windhunde länger leben“ (Burgard 2009)
Für mich war es sehr erleichtern, aus dem Diätkreislauf auszusteigen und mich so anzunehmen, wie ich bin. Erstaunlicherweise habe ich dadurch tatsächlich eine andere Haltung zu Sport entwickelt. Statt „um zu“-Sport zu machen, schwimme ich seit ein paar Jahren mit großem Genuß, weil ich einfach fühle, dass es mir gut tun. Als ich endlich weniger belastende Scham empfand, gewann ich auch die Energie dafür, mich zu radikalisieren.
Wenn Frauen damit beschäftigt sind, sich selbst zu optimieren, stören sie weniger
In einer kapitalistischen Gesellschaft, die Menschen nach ihrem wirtschaftlichen Wert bemisst, gilt das Ausehen von Frauen häufig als ihr wichtigstes Gut. Entsprechen viel Zeit und Mühe wird darin investiert und entsprechend gut verdienen Unternehmen daran, Produkte zu verkaufen, die angeblich alles besser machen. Würden sich auf einmal alle Menschen gut und schön finden, würden ganze Wirtschaftszweige bankrott gehen.
Je mehr wir unseren Körper hassen, desto reicher werden diese Unternehmen. Sie wollen dass wir unzufrieden mit uns sind. Daraus folgt: Wir hassen unseren Körper nicht, weil er nicht in Ordnung ist, sondern wir hassen ihn, weil wir immer wieder Lügen eingeredet bekommen, weil andere damit gutes Geld verdienen. Wir sind also dauernd beschäftigt damit, unseren Körper zu optimieren. Kein Wunder, wenn dann wenig Zeit und Energie bleibt, uns um Anderes zu kümmern, z.B. das Patriarchat abzuschaffen.
Denn vielleicht geht es gar nicht um uns, sondern um die Angst der Männer, die befürchten, ihre liebgewonnenen Privilegien könnten verschwinden, wenn Frauen auf einmal auch mitspielen wollen? Es ist für sie doch ganz praktisch, wenn Frauen tagtäglich damit beschäftigt sind, sich selbst zu optimieren. Dann haben sie gar keine Zeit mehr, sich um die wichtigen Dinge zu kümmern und Raum und Aufmerksamkeit für ihre Wünsche einzufordern.
Wir können es beim Namen nennen, z.B. Laurie Penny tut das in ihrem Buch Fleischmarkt. Weil uns täglich klar gemacht wird, dass wir weniger gut sind, als wir es sein sollten, hungern Tausenden von Frauen und Männern freiwillig unter dem Deckmantel einer Diät. Weil es leichter ist, die Scham einfach wegzuhungern, als der Herabsetzung des Selbstwertgefühls die Stirn zu bieten und laut zu sagen, was falsch läuft. Oder kurz gesagt: Dünnsein zu propagieren, ist deine ideale Methode, um starke Frauen zu kontrollieren.
Body Positivity-Bewegung
Wenn wir die Hintergründe durchschaut haben, dann fällt es sehr viel leichter, sich selbst und den eigenen Körper liebevoll anzunehmen. So ging es mir: Was war das für eine Erleichterung zu entdecken, dass ich nicht versagt hatte, dass ich nicht schuld daran bin, dass ich aussehe, wie ich aussehe und dass Menschen das nicht gefällt. Wie erleichtern herauszufinden, dass ich ok bin, so wie ich bin!
In den letzten Jahren hat sich scheinbar einiges getan – Körperakzeptanz kam tatsächlich in Mode. Aber ist das, was wir jetzt häufiger hören und lesen das, was die Aktivistinnen meinten? Macht es unsere Welt besser, wenn auf Instagram plötzlich überall davon die Rede davon ist?
Seit einiger Zeit kommen immer mehr weiße, vergleichsweise dünne Frauen auf die Idee, ihre süßen kleinen Speckröllchen (die jede hat, wenn sie sich hinsetzt) zu fotografieren und erzählen uns was von Body Positivity. Versteh mich nicht falsch – ich finde es großartig, wenn wir alle netter zu unseren Körper sind und ich kann es absolut verstehen, wenn sich jede, wirklich jede Frau, jeder Mensch sorgt, dass irgendwas an dem eigenen Körper nicht ok ist. Schließlich bekommen wir das alle tagaus tagein eingetrichtert. Aber es fühlt sich falsch an, das ausgerechnet auf Hochglanzbildern von dünnen weißen Frauen auf Instagram gesagt zu bekommen. Ich denke dann: Wenn schon diese „normalen“ Frauen sich sorgen, nicht gut genug zu sein – was für ein Alien bin dann erst ich? Wenn schon ein süßes kleines Bäuchlein schlimm ist, wie krass ist dann erst meine Wampe?
Die Fat Acceptance Bewegung ist von überwiegend dicken, schwarzen, jüdischen, queeren Frauen ausgegangen – Mehrfachdiskriminierung erhöht ganz sicherlich den Leidensdruck. Logisch, dass es dort los ging! Seit ungefähr 50 Jahren erzählen Aktivistinnen von Dicken-Diskriminierung und dann kommen auf einmal Unternehmen auf den Trichter, dass sie mit Wohlfühl-Acceptance-Slogans Geld verdienen können, in dem sie ein paar unterschiedliche Frauen nebeneinander fotografieren und Menschen in den sozialen Medien bestätigen sich gegenseitig, wie ok sie sind, statt immer dann Aufzustehen, wenn wirklich jemand diskriminiert oder beleidigt wird.
Du kannst wählen, was du siehst und liest: Folge echten Menschen und höre zu, was sie zu sagen haben
Glücklicherweise muß ich diesen Accounts ja gar nicht folgen. Das Tolle an sozialen Medien ist, dass ich mir meine eigenen Bildersammlungen zusammen stellen kann, die mein Bild von der Welt und den Körpern prägen. Ich kann mir dicke Menschen anschauen, Körper mit Einschränkungen, schwarze Menschen, Alte und Junge, ich kann Menschen folgen und ihnen zuhören, die mir etwas darüber erzählen, wie es ist, trans zu sein und ich kann Verbündete finden, die ähnlich denken wie ich.
Und genau das hat mich radikalisiert. Es wurde immer normaler für mich, anders zu denken, als ich es gewohnt war. Mein Horizont wurde weiter, in dem ich Bilder von echten Menschen sah, statt nur fotogeshopte Bildchen in Magazinen, die ausgewählt wurden, um mir bestimmte Produkte zu verkaufen. Je mehr ich Menschen sah und zuhörte, die in den Mainstream-Medien nicht zu Wort kommen, umso mehr fand ich heraus, warum ich mich oft falsch fühlte und das das am Ende gar nicht so viel mit mir und meinem Körper zu tun hat. Meine Scham löste sich auf und ich fand damit die Energie, Probleme zu lösen, statt mich weiter zu bedauern.
Und damit sind wir wieder bei der gut passenden Kleidung. Die Erkenntnisse, die ich dadurch gewann, dass ich darüber las, dass es so etwas wie Dickendiskriminierung gab, wurden durch das neu gewonnene Selbstbewußtsein, das ich durch die Herstellung meiner eigenen gut passenden Kleidung gewonnen hatte, verstärkt und bestätigt. Das ging Hand in Hand und deswegen ist es mir auch so wichtig, in diesem Podcast davon zu sprechen.
Wir, die wir unsere Kleidung nähen, haben ein wunderbares Mittel in der Hand unser individuelles Wohlbefinden zu verbessern, in dem wir uns Kleidung nähen, in der wir uns richtig, stark und schön fühlen. Das bessere Gefühl, dass durch gut passende Kleidung entsteht, gibt uns Energie, uns um den wirklich wichtigen Dingen zuzuwenden. So geht es zumindest mir und ich mache das, was ich mache, um diese Energie möglichst vielen anderen Frauen auch zu ermöglichen. Das Verständnis darüber, dass die Scham und schlechten Gefühle, die uns möglicherweise schon unser ganzes Leben lang begleiten gar nicht unsere Schuld sind, sondern etwas mit der Gesellschaft, in der wir leben zutun haben, hilft uns gleichzeitig, uns zu verzeihen und einen Neuanfang im Denken zu wagen.
Fat-Acceptance Bücher – vier Empfehlungen
Bevor ich in der nächsten Podcastepisode dann auf sackförmige Plus-Size-Kleidung zu sprechen komme, möchte ich euch am Ende dieser Episode noch eine kleine Auswahl toller Bücher empfehlen.
Sofie Hagen, Happy Fat, Dumont 2020
“Happy Fat”, dass es seit ein paar Wochen auch auf deutsch gibt, ist ein super Einsteigerinnenbuch. Es enthält einen umfassenden Überblick und ist, obgleich es ein dicker Buch ist, leicht zu lesen, weil es wirklich nett und lustig geschrieben ist. Ich mag es sehr und hatte es euch schon in der letzten Podcast-Episode empfohlen.
Lotte Rose (Hrsg.), Friedrich Schorb (Hrsg.): Fat Studies in Deutschland, Beltz 2017
Dieses Buch bietet einen Überblick, mit was sich die deutsche Wissenschaft rund um das Dicksein beschäftigt. Obwohl es wissenschaftliche Texte sind, die viele Zahlen und Daten enthalten – sowie ausführliche Quellennachweise, ist es leicht und wirklich sehr spannend zu lesen. Auf der verlinkten Seite gibt es eine Lesprobe.
Laurie Penny, Fleischmarkt, Edition Nautilus 2012
Dieses Buch ist eigentlich kein Fat-Acceptance Buch sondern ein feministisches Büchlein. Klein aber fein und eher radikal. Ich mag es sehr, aber für den Einstieg ins Thema ist es vermutlich wenig geeignet. Auf der verlinkten Seite gibt es neben der Inhaltsbeschreibung auch noch einen Blick in das Inhaltsverzeichnis.
Magda Albrecht: Fa(t)shionista, Ullstein 2018
Magda Albrecht ist die deutsche Fat-Acceptance Stimme, denn sie veröffentlicht schon seit vielen Jahren in den sozialen Medien (twitter, Instagram), im Blog der Mädchemannschaft und in einem Podcast (Fettcast) Beiträge zu Fat Acceptance. Logisch, dass sie ein Buch darüber geschrieben hat. Es ist nicht das erste deutsche Buch, aber vermutlich das am meisten beachteste. Super Buch zum Einstieg, denn Fakten und Erkenntnisse verwebt Magda mit ihrer persönlichen Geschichte.
Wir müssen unsere Körper wirklich nicht hassen!
Und ganz am Ende möchte ich euch noch ein tolles Zitat aus dem Buch von Sofie Hagen mitgeben. „Du meinst, sie haben uns nur eingebläut, dass wir unseren Körper hassen müssen, obwohl wir unseren Körper in Wirklichkeit gar nicht hassen müssen? (Sofie Hagen, Happy Fat) Es ist so eine Frage, die in dem Moment an die Oberfläche kommt, wenn sich etwas zu verändern beginnt. Wenn wir nach und nach mehr verstehen, woher die schlechten Gefühle unseren Körper betreffend kommen. Ja, so ist es: Wir müssen unseren Körper nicht hassen! Riots not diets. Oder anders gesagt: Wenn du nach einem kreativen Ausweg aus dem alten, dich belastenden, Denken suchst, beginne damit, dir selbst gut passende Kleidung zu nähen. Das ist ein erster großer Schritt!
Einladung zum curvyTalk am 24.9.2020
Jetzt habe ich viel geredet – mich würde interessieren, was du darüber denkst! Wenn du eine große Größe trägst und Lust hast, am Donnerstag, den 24.9.2020 um 20.30 Uhr in einem Zoom Call mit mir und anderen über Fat Acceptance-Themen und wie es uns damit geht, zu plaudern, dann komm in die curvy crafteln-Facebook-Gruppe. Dort findest du den Anmeldelink zum curvyTalk.
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Mehr über “curvy-Schnittanpassung” erfährst du in meinem Buch “Passt perfekt Plus Size“. Wenn du andere “Plus-Size-Frauen” treffen möchtest, die auch gerade lernen ihre Kleidung nähen und Schnittmuster dafür anzupassen, dann komm in die curvy crafteln Facebookgruppe.
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