– und was die Magie des Materials mit Erfolgserlebnissen zu tun hat
Ohne Stütznaht keine Anprobe. Du willst dir doch nichts aus Versehen kaputt machen! Ohne Anprobe, keine gute Passform, denn so viel Mühe wir uns auch bei der Schnittanpassung geben. Auf Anhieb perfekt wird es nicht. Deswegen vereinbaren Maßschneiderinnen ja auch Termine zur Anprobe. Der gar nicht geheime Trick, wie sie dabei das Schlimmste vermeiden heißt „Stütznaht“.
In diesem Blogpost bekommst du eine Zusammenfassung der Inhalte der Podcastepisode. Im Podcast selbst, erzähle ich noch etwas ausführlicher.
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Darum geht es in Episode #47
Heute möchte ich über Stütznähte reden und wenn du dich fragst, ob es wirklich möglich ist, eine ganze Episode über so etwas Banales wie eine Naht zu reden. Ja, das geht. Ich versuche es zumindest. Denn ich glaube, so ein einfaches Hilfsmittel, wie eine Stütznaht, kann uns helfen, unseren Ansprüchen an unsere Nähwerken gerecht zu werden – zumindest dahingehen, dass wir sie nicht verschlimmbessern. Wer kennt das nicht: lange genäht, lange vorgefreut und dann kommt die erste Anprobe und die erste Enttäuschung. Das noch nicht alles perfekt ist, ist normal. Aber wir sollten darauf achten, dass wir es nicht noch schlimmer machen durch doofes Ausleiern.
Was ist eine Stütznaht?
Aber fange ich doch mal mit dem einfachen und naheliegendem an: was ist eine Stütznaht? Eine Stütznaht ist eine simple Naht im Geradstich auf der Nahtzugabe. Du kannst sie ohne Verriegeln nähen und es ist eigentlich auch egal, welche Stichlänge. Hauptsache, du nächst auf der Nahtzugabe. Ihre Funktion ist – wie der Name schon sagt – eine Stütze zu bilden. Sie soll die Dehnbarkeit eines Stoffes minimieren, damit ein Kleidungsstück bei einer Anprobe nicht ausleiert.
Stütznähte empfehle ich an allen Ausschnitten, als dem Halsausschnitt und den Armausschnitten. Immer dann, wenn diese noch offen sind, also nicht irgendwie mit einem Saum oder einem eingesetzten Ärmel oder einem angenähten Kragen weiterverarbeitet sind, solltest du spätestens vor einer Anprobe eine Stütznaht machen. Denn wie ärgerlich wäre es, wenn dein sorgfältig angepasstes Kleidungsstück sich beim Anziehen verformt.
Eine Stütznaht sichert einen Ausschnitt gegen ausleiern
Aber warum leiert es überhaupt? Das liegt daran, dass die geschnittene Kante des Ausschnitts in manchen Teilen im schrägen Fadenlauf liegt. Nicht elastische Webware ist – wie der Name schon sagt – nicht elastisch dort, wo sie in der Horizontalen oder der Vertikalen gezogen wird. Sobald du aber diagonal ziehst, gibt sie nach. Dort kann es leiern, dort kann ein Ausschnitt plötzlich nachgeben und viel größer als gewünscht werden.
Deswegen nähst du vor der Anprobe eine Naht auf die Nahtzugabe. Diese Naht soll später unsichtbar sein – deswegen wird sie auf die Nahtzugabe genäht. Sie soll nur während der Anprobe Stabilität geben und das Gewebe in Form halten. So weit die nähtechnische Erklärung.
Die Stütznaht ist eine Versicherung gegen Überschwang und Leichtsinn
Die Stütznaht ist eine Absicherung. Sie ist eine Versicherung gegen Überschwang und Leichtsinn. Sie möchte das sichern, was wir uns im Vorfeld mühsam erarbeitet haben. Wenn wir ein Schnittmuster kontrolliert und angepasst haben, dann wollen wir damit sicherstellen, dass das Kleidungsstück auf den vorgesehenen Körper passt. Wir haben uns genau überlegt, was wir sollen. Da soll nichts dazwischen kommen. Deswegen nähen wir eine Stütznaht. Sie würdigt unsere Bemühungen vor dem Nähen möglichst präzise Vorbereitungen getroffen zu haben.
In der Stütznaht liegt das Vertrauen darin, dass alles stimmt, dass wir alles richtig gemacht haben. Gleichzeitig bedeutet dass Anbringen einer Stütznaht, dass wir uns erlauben, eine Probe zu machen, zwischendurch zu kontrollieren, ob das, was wir uns vorgenommen haben, auch sinnvoll ist. Die Stütznaht hilft uns dabei, dass wir nicht erst am Ende des Prozesses „Hop oder Top“ beurteilen können, sondern, dass wir zwischendurch den Weg und die Richtung korrigieren können. Wir können ein Kleidungsstück im Laufe des Fertigungsprozesses anprobieren, ohne etwas zu riskieren. Wir können schauen, ob das, was wir uns im Vorfeld ausgedacht haben, sinnvoll war, oder ob wir Kleinigkeiten anders als geplant machen müssen, um das Große Ganze nicht in Gefahr zu bringen.
Stütznähte ermöglichen Feinanpassungen
Die Stütznaht macht es uns möglich, die Feinanpassungen im Laufe des Prozesses zu machen. Wir können durch Schnittanpassung nicht alles korrekt machen. Das Material hat immer noch ein Wörtchen mitzureden. Jeder Stoff verhält sich anders. Deswegen müssen wir oft hier noch etwas stecken, dort etwas enger machen. Wir können ein Kleidungsstück mit einem Finetuning sanft um den Körper herummodellieren, in dem wir es zwischendurch anziehen und sanft korrigieren. Wir müssen nur dabei aufpassen, nichts kaputt zu machen.
Das Entscheidende ist: wir sichern offene Kanten. Mit einer Stütznaht kontrollieren wir den Prozess. Wir sichern das, was wir bereits erreicht haben und versichern uns gegen Unfälle. Wir wollen einfach verhindern, dass wir an einer Stelle etwas verbessern und dabei unwissentlich, aus Versehen an anderer Stelle etwas verschlechtern. So haben wir den Prozess unter Kontrolle.
Und genau deswegen mag ich Stütznähte so gerne. Nichts ärgert mich mehr als „Verschlimmbessern“ und Frickeln. Nichts finde ich frustrierender, als hier etwas zu ändern und zack entsteht an anderer Stelle ein Problem. Nichts gegen stufenweise Annäherung an ein optimales Ergebnis – darüber spreche ich in der nächsten Episode. Aber was ich vermeiden will, ist dass du nicht weißt, was du tust. Die Gefahr, so ein UFO zu produzieren, ist groß. es ist so frustrierend, an einer Stelle zu optimieren und an anderer Stelle dafür eine neue Baustelle aufzureißen. Nicht immer kannst du das vermeiden, aber bei Ausschnitten schon. Deswegen liebe ich Stütznähte.
Finetuning und Schnittanpassung gehören zusammen
Was haben die Stütznähte mit Ansprüchen und Perfektion zu tun, wie es das Oberthema der vierten Staffel ist? Ganz einfach: ich glaube nicht daran, dass wir theoretisch, nur durch die Kontrolle des Schnittmusters und das Anpassen nach unseren Maßen schon das perfekte Kleidungsstück zaubern können. Durch die Schnittanpassung sorgen wir dafür, dass alles an der richtigen Stelle ist und dass wir auf jeden Fall genügend Weite haben. Wir erhöhen im Vorfeld die Wahrscheinlichkeit und dann kommt die Magie des Materials ins Spiel und die Bewegungen unseres Körpers. Schnittanpassung arbeitet mit Annahmen. Wieviel Zugabe wir hier und dort gebrauchen können, ist ein Pi-mal-Daumen-Spiel. Erst, wenn wir ein Kleidungsstück anprobieren und uns darin bewegen, können wir sehen, ob unsere Annahmen sinnvoll waren oder wir noch nachkorrigieren müssen.
Die Frage ist nun, wie wir das bewerten. Ich finde, Finetuning gehört zum Prozess dazu. Es ist völlig normal, bei der Schnittanpassung noch nicht den heiligen Gral zu finden – auch Maßschneiderinnen laden zur Anprobe und ändern hier noch etwas und dort etwas. Aber wir müssen bei der Anprobe darauf achten, unsere Meinung nicht vorschnell zu fällen und im Überschwang nicht das Kleidungstück an den offenen Kanten zu zerstören. Zumindest für das zweite Problem gibt es eine Lösung: Stütznähte. Für die Bewertung dessen, was du bei der ersten Anprobe siehst, bist du zuständig. Aber das ist ein anderes Thema. Ich hoffe, dass du ab jetzt niemals mehr die Stütznähte vergisst.
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