Als ich letzte Woche meinen Blogpost zu Gesichtsmasken* schrieb, war mir schon klar, dass dieser ergänzt werden müsste oder eine Fortsetzung bekommt. Das Thema ist derzeit so aktuell und das Wissen dazu entwickelt sich rasant weiter. Damit der Beitrag nicht zu lang und unübersichtlich wird, habe ich mich zu einer Fortsetzung entschieden. Ich hätte allerdings niemals vermutet, dass ich diese Woche weniger über Schnittmuster und Materialien für Masken schreiben würde. 

Im Laufe der Woche habe ich eine kleine Serienproduktion zusammen mit meinem Kind ins Leben gerufen. Wir haben uns für die Masken nach der Essener Anleitung mit den Falten entschieden, weil sie mir am schnellsten von der Hand gingen und mir das Kind dabei gut helfen kann. Während ich nähe, schneidet das Kind die Bänder, bügelt den gewaschenen Stoff und bügelt die Falten ein.

 

Das einfachste Modell genäht, um meine Kreativität für andere Dinge nutzen zu können

Ich hatte eigentlich geplant, diese Masken auch mal mit einem “Hinter-dem-Kopf-Gummi” zu nähen, war dann aber in einem Fertigungsmodus, der mir nicht erlaubte, die Art der Fertigung zu ändern. Meine derzeit beschränkte Fähigkeit, kreativ zu denken, muß ich ohnehin dafür nutzen, mein Geschäft am Laufen zu halten. Mir ist klar, dass auch meine Einnahmen weiterhin zurückgehen werden und dass im Homeoffice das Arbeiten weitaus schwerer ist, als im Büro. Deswegen blieb mir letzte Woche nur Fertigungs-Energie, aber keine zusätzliche Kreativ-Energie.

 

Ist es eigentlich sinnvoll, Masken zu verschenken?

Ich schreibe das, weil das zu einem Gedanken führt, der mich irgendwie letzte Woche schon bewegte, aber durch eine Diskussion auf twitter, die durch einen Tweet von Karla Paul (Link zu twitter) ausgelöst wurde, bei mir erst klar wurde. Sinngemäß schreibt sie: Masken nähen bedeutet, dass wenn professionelle Einrichtungen wie Kliniken darum bitten Masken zu nähen, wieder die Arbeit von Frauen, die sowieso schon mit Homeoffice und Homeschooling oder der schlecht bezahlten Arbeit in systemrelevanten Berufen mehr als beschäftigt sind, in Anspruch genommen wird, um das System aufrecht zu erhalten. Bei diesen gespendeten Masken wird ganz selbstverständlich die Ressourcen Zeit, Arbeit, Material und Können in Anspruch genommen. Nach diesen Aussagen entspann sich eine heiße Diskussion, in der für mich deutlich wurde, dass mein verwirrtes Gefühl, nicht zu wissen, wer meine genähten Masken eigentlich bekommen sollte, ein wichtiges Zeichen war.

 

Plötzlich berichten alle große Medien von DIY-Gesichtsmasken

In den letzten Tagen haben alle großen Medien das Thema Maskennähen aufgegriffen. Nachdem uns zuerst wochenlang erzählt wurde, dass einfache Masken nichts bringen, ist das Nähen von Gesichtsmasken auf einmal der große Hype. Marja Katz (Link zu twitter) ist deswegen zu Recht wütend darüber, dass irgendwie erwartet wird, dass wir Hobbynäherinnen das medizinische System auffangen, weil der Gesundheitsminister Mails übersehen hat, in denen er über fehlende Sicherheitsausstattung hingewiesen wurde.

Ich war wirklich erstaunt darüber, dass plötzlich alle Medien berichten. Während sonst das textile Handarbeiten eher spöttisch als Frauenkram abgetan wird, ist es auf einmal systemrelevant? Und wie alle anderen systemrelevanten Tätigkeiten, die in der Mehrzahl von Frauen ausgeübt werden (Pflege, Lebensmittelbranche und viele mehr), wird es schlecht bezahlt oder sogar als Spende erwartet?

 

Wir nähen weiter! Viel mehr Menschen sollten in der Öffentlichkeit Masken tragen!

Ich will jetzt nicht – eine Woche nach meinem Aufruf Masken zu nähen – plötzlich dazu auffordern, keine Masken zu nähen. Im Gegenteil. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass viel mehr Menschen beim Einkaufen und in der Öffentlichkeit Masken tragen sollten. Zu dem finde ich diese selbstgenähten Masken auch viel schöner, als die medizinischen Atemschutzmasken, die selbstverständlich denjenigen vorbehalten sein sollen, die sie im beruflichen Kontext brauchen.

Aber wenn ihr Masken näht, überlegt genau, wem ihr sie verschenkt. Verschenkt sie natürlich an eure Lieben, das ist doch klar. Aber bedenkt dass Freundschaftsdienste eigentlich unsinnig sind. Wer, wenn nicht unsere Freunde sollten wollen, dass es uns gut geht. Da uns allen irgendwie gerade der Alltag und die Einnahmequellen unter den Füßen weggezogen werden, kann es doch sein, dass Geld als Gegenleistung einfach wichtig ist.

 

Wir alle brauchen Geld zum Leben

Warum sollten also entfernte Bekannte nicht dafür zahlen und warum solltet ihr, wenn ihr ohnehin ein Gewerbe habt und gewohnt seid, Rechnungen zu schreiben und Buchhaltung zu machen, nicht für eurer Produkt auch Geld nehmen. Ich weiß, viele Hobbynäherinnen haben kein Gewerbe, aber vielleicht haben sie einen bedrohten Arbeitsplatz. Wenn ihr wirklich in Serienproduktion geht, könnte das der Moment sein, in dem ihr ein (Neben-) Gewerbe anbietet und die Masken verkauft.

Ich berate schon seit vielen Jahren Existenzgründer*innen, deswegen weiß ich: Ein Gewerbe anzumelden geht ganz einfach und kostet ungefähr den Gegenwert einer Maske. Wenn ihr wenig verdient, fallt ihr unter die Kleinunternehmer*innen-Regelung und braucht keine große Buchhaltung, sondern nur eine simple Einnahmen-Ausgaben-Rechnung. Wenn ihr Masken näht, investiert ihr eure Zeit, euer Know-How, benutzt eure (teure) Nähmaschine, euren Raum und euren Stoff. Das ist viel wert und sollte auch honoriert werden. Spenden an Einrichtungen, die z.B. Obdachlose unterstützen nehme ich ausdrücklich von diesen Gedanken aus, an diese verschenke ich auch, aber das ist etwas anderes, als z.B. eine Klinik, die nach kaufmännischen Gesichtspunkten betrieben wird.

Wenn ihr ernsthaft darüber nachdenkt, viele Masken zu nähen, denkt bitte darüber nach, ob ihr sie verkauft. Im Grunde sollte das Gesundheitsministerium sie bezahlen. Aber auch diejenigen, die von euch eine genähte Maske haben wollen, können durchaus dafür bezahlen. Nehmt euch ernst, denkt daran, was eure Arbeit wert ist. Wenn ihr euch selbst nicht wertschätzt, werden das andere auch nicht tun.

 

Was sind DIY-Gesichtsmasken wert, was kosten sie?

Aber was ist der richtige Preis für selbstgenähte Masken? Den richtigen Preis gibt es nicht. Es ist jedenfalls nicht 3€ – das ist der Preis, den ein syrischer Schneider in Deutschland (Link zu twitter) nimmt, um sein neu gegründetes Geschäft aufrecht zu erhalten. Das ist zu wenig, selbst, wenn der Stoff gespendet sein sollte.

Der Stoff muss gewaschen werden, ihr investiert Zeit, ihr nutzt “Betriebsmittel” (eure Nähmaschine, Waschmaschine, Bügeleisen…”, ihr nutzt Verbrauchsmittel (Strom, Nähgarn,….). Wenn ihr die Masken verschickt, braucht ihr Verpackungsmaterial, Zeit, zum Einpacken und Versenden. Suschna empfielt auf twitter sich an den Preisen von Firmen wie Trigema etc. zu orientieren, die nun auch Masken nähen und an Kliniken verkaufen. Ich halte deren Preise aber für zu niedrig, denn sie haben ganz andere Produktionsprozesse, Maschinen und Übung. Sie kaufen Material und Arbeit zu einem anderen Preis, als wir dafür einsetzen sollten. Ich vermute, der “richtige” Preis für selbstgenähte Masken dürfte, je nach Modell bei mindestens 20 € liegen; eher mehr.

 

Ist es nicht falsch, aus dem Leid Anderer Gewinn zu machen?

Letzte Woche stutze ich, als ich zufällig ein E-Book bei Amazon entdeckte, das drei Maskenschnittmuster beinhaltete, die es scheinbar auch gratis im Internet gab. Ich fand das zunächst falsch, denn es entsprach nicht meiner Idee des “gemeinsam etwas Bewegen können”. Ich hatte es wirklich genossen, dass wir uns in der Näh-Comunity so intensiv wie schon lange nicht mehr austauschten, um herauszufinden, was die besten Materialien und Schnittmuster für Masken sind. Das war ein Austausch, wie ich ihn von “früher” kannte, als es noch mehr Nähblogs und Kommentare gab. Ich hatte das Gefühl, wir machen zusammen etwas Großes und Wichtiges und fand es schäbig, genau das zum Geldverdienen zu nutzen.

Aber andererseits: warum nicht? Vielleicht sind die Maskenschnittmuster dort nicht genau die Gleichen wie im Internet überall frei verfügbar. Vielleicht steckt dort Gehirnschmalz drin, vielleicht ist die Anleitung besonders gut, vielleicht ist es eine sehr übersichtliche Zusammenstellung. Ich urteilte, ohne den Inhalt zu kennen und das war falsch. Jetzt, am Ende der Woche denke ich sogar noch weiter: ich halte es zwar für falsch, aus dem Leid Anderer Geschäfte zu machen und veruteile zutiefst, den privaten Handel mit medizinischen Schutzmasken zu Wucherpreisen. Aber ich finde es völlig legitim, wenn Selbständige Bedarf erkennen und von dem Verkauf ihrer Produkte leben können. Die Grenze ist schwammig. Das macht es schwierig. Jede muß ihre Haltung dazu finden und ihren Weg gehen.

 

Vergesst nicht, an euch zu denken!

Diese Gedanken finde ich wichtig, um euch deutlich zu machen, dass ihr nicht automatisch in etwas hineinrutscht, dass euch nicht gut tut. Ich kenne das von mir. Ich hätte fast die Woche damit verbracht, Masken zu nähen und zu verschenken. Es fühlte sich so gut an, etwas zu tun und ein Ergebnis zu sehen und ich habe darüber zeitweise vergessen, für crafteln, also in meinem eigentlich Beruf zu arbeiten. Dabei ist es gerade jetzt für mich wichtig am Ball zu bleiben und crafteln weiter zu entwickeln, denn wer weiß, wie lange die Krise andauert und wo sie uns hinführen wird. Ich kann mich nicht einlullen lassen von “hey toll, dass du Masken nähst”, ich darf mich nicht von diesem guten Gefühl ablenken lassen von dem, was mir wirklich Geld einbringt, was meine Lebensgrundlage ist. Vielleicht geht es der Einen oder Anderen ähnlich. Auch wenn ihr nicht selbständig arbeitet, ihr braucht eure Kraft auch für euch  – also näht Masken, aber näht sie bewußt und verschenkt eure Kraft und Liebe nicht einfach so!

Übrigens, zwei neue Maskenschnittmuster habe ich diese Woche noch gefunden, beide ohne Draht. Das von Art und Stil und eines von Elle Puls. Außerdem gibt es ein Video von Anna von einfach nähen, für diejenigen, die etwas mehr an die Hand genommen werden möchten. Und für diejenigen, die meinen ersten Blogpost zu den Masken suchen: hier ist er. Dort findest du weitere Links zu Informationen über Maskenschnittmuster und Argumente, warum es richtig ist, eine Maske zu tragen.

*Und by the way: vielleicht ist euch aufgefallen, dass ich auf einmal Gesichtsmasken schreibe, statt Ate*schut*masken. Es gibt mittlerweile findige Menschen, die kleine Shops und Blogger*innen etc. abmahnen, weil der Begriff irreführend ist. Ich hoffe, sie schmoren dafür mal in der Hölle.