Es ist ja schon so eine Sache mit einfarbigen Stoffen. Einfarbige Stoffe sind nicht für Jede. Natürlich kenne ich keine Statistiken dazu, aber ich würde schwören, dass die meisten Hobbynäherinnen gemusterte Stoffe bevorzugen. Ging mir auch eine Weile so, bis ich verstand, woran das liegt.
Sich mit wilden Mustern ausleben
Nicht jede Hobbynäherin fängt mit Kinderkleidung an, aber vermutlich viele. Das ist eigentlich auch ein prima Einstieg, denn Kindersachen sind einfach, schnell genäht, brauchen nicht viel Stoff und wenn es am Anfang noch nicht perfekt wird macht das nichts, denn die Kleinen sehen ja per se niedlich aus. Ich kann sogar verstehen, dass manche Mütter einen Mutter-Kind-Partner*innenlook nähen. Schließlich verbringt mensch ja ne Menge Zeit in der dazugehörigen Kinderwelt. Das Einander ähnlich werden, passiert vermutlich ebenso unmerklich, wie bei Herrchen und Hund.
Ich habe auch am Anfang meiner zweiten Nähkarriere, die mit einer Kleinkindhose begann, erst einmal nur Kleidung aus buntgemusterten Stoffen für mich genäht. Die Abteilung für Kinderstoffe war prall gefüllt mit einer Vielfalt an Motiven und Farben, die meine bisherige Erwachsenengarderobe nicht zu bieten hatte. Ich schwelgte fortan in Farben und Mustern, denn einschränkende Kleidungsvorschriften gab es nicht, so lange sich meine Lebenswelt auf den Spielplatz beschränkte.
Gemusterte Stoffe sehen selbst genäht aus
Am Anfang war es sowieso immens wichtig für mich, dass ich bei jedem selbstgenähten Kleidungsstück mehrmals täglich darauf angesprochen wurde, ob das denn selbstgenäht sei. „Natürlich,“ sagte ich und freute mich, dass zur Abwechslung nicht nur das Kind niedlich gefunden wurde.
Mütter bekommen ohnehin viel zu wenig Anerkennung für das Perpetuum Mobile an Tätigkeiten, die sie verrichten. Kaum sind die Wäscheberge gewaschen, ist alles wieder voller Sand und Matsch und auch die Mahlzeiten sind schneller aufgegessen als gekocht. Wie wohltuend ist es dann, für die selbstgenähten Werke gelobt zu werden. Immerhin werden sie bemerkt!
Gemusterte Stoffe sind wahre Verführer
Es ist gar nicht so leicht, den gemusterten Stoffen zu entkommen, denn gemusterte Stoffe online zu kaufen ist viel spaßiger, als das Aussuchen von Unis. Der Reiz von unterschiedlichen dunkelblauen Stoffen in Onlineshops ist nur schwer zu erfahren und sobald es sich um rote Stoffe handelt, ist das Risiko nicht zu unterschätzen, aus Versehen das falsche Rot zu wählen, mit dem ich aussehe, als hätte ich 3 Tage Magen-Darm hinter mir.
In Muster kann frau sich auch online verlieben. Einfarbige Stoffe, bei deren Berührung mir ein wohliger Seufzer entfährt, habe ich meist im lokalen Einzelhandel gekauft und mit allen Sinnen, aber vor allem mit den Nervenenden meiner Fingerspitzen ausgewählt.
Von wilden Mustern zu einfarbigen Stoffen
Außerdem sind einfarbige Stoffe auch ganz schön erwachsen. Sie sind was fürs Büro. Erwachsenenkleidung mit Karriereoptionen soll Kompetenz ausstrahlen. Heben wir uns die wilden Muster also lieber für den Urlaub auf, wenn wir karrieremäßig mit dem Strom aufwärts schwimmen wollen. Einfarbige Kleidungsstücke geben uns eine Bühne, weil sie nicht von uns ablenken. Klingt langweilig, ist es aber ganz und gar nicht!
Ich mag einfarbige Kleidung, denn es kann super toll aussehen. Endlich sieht man mal mehr vom Schnitt! Mit der Zeit entwickelte ich einen Blick für clevere Designs mit Abnähern und Falten, die auch einfarbige Stoffe interessant machen. Plötzlich erschien es mir ganz und gar nicht mehr absurd, einfarbige Kleidungsstücke zu nähen. Und siehe da, eine gewisse Souveränität war meinem neuen Look durchaus innewohnend. Ich hatte mich von einer Mutter wieder in eine erwachsene Frau verwandelt, die verdammt kompetent in gut passenden Unis aussieht.
Das ist der Grund, wieso Gott die Schnittanpassung und den Animalprint erfunden hat
Doch ganz so einfach war das nicht. Passformfehler sind in einfarbigen Stoffen sowas von sichtbar, da kein Muster das Auge der Betrachter*in ablenkt. Schonungslos offenbart es sich, wenn Brustabnäher oder Teilungsnähte an falschen Stellen sitzen.
Sobald wir den naiven Traum aufgegeben haben, dass ein Schnittmuster, das in Massenproduktion hergestellt wurde, ohne Kontrolle und Anpassungen wie durch ein Wunder passt, können wir die Unis in unser Leben lassen.
Eine gute Passform ist keine Zauberei und mit ein paar grundlegenden Ahas bezüglich der Schnittanpassung auch für Hobbynäherinnen erreichbar. Wie großartig ist es dann, ganz im Geheimen von unserer Superkraft, Maßkleidungsstücke herstellen zu können, zu wissen. Endlich lenkt kein Muster mehr von unserer Schönheit, unserer Ausstrahlung und unseren handwerklichen Fertigkeiten ab.
Wer das erlebt hat und weiß, wie schön und stark frau sich in gut passenden Kleidungsstücken fühlen kann, darf dann beim nächsten Stoffkauf auch wieder in wilden Mustern schwelgen und sich an bunten Farbkombinationen erfreuen. Wenn wir unsere Kleidung selbst nähen, dann können wir ja ohnehin machen und tragen was wir wollen.
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