– es ist vieles besser, doch es ist lange noch nicht gut
Warum ist Plus-Size-Kaufkleidung oft so unförmig? Wenn es doch angeblich immer mehr Menschen gibt, die dick sind, wieso kommt die Bekleidungsindustrie erst so langsam darauf auch für diese Zielgruppe modische Bekleidung anzubieten. Und warum ist das, was uns angeboten wird oft so unattraktiv?
In diesem Blogpost bekommst du eine Zusammenfassung der Inhalte der Podcastepisode. Im Podcast selbst, erzähle ich noch etwas ausführlicher.
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Darum geht es in Episode #65
Zur letzten Episode habe ich Feeback bekommen, dass das ganz schön harter Tobak ist, den ich da erzählte. Ja, das ist es. Ich hatte auch lange gezaudert, ob ich darüber spreche und wahrscheinlich ist deswegen die Episode auch so lang geworden. Aber ich glaube, es ist wichtig, darüber zu sprechen. Warum? Weil es – in dem ich Gedanken über das Dick-sein in einen größeren, gesellschaftlichen Zusammenhang setze, Menschen, die das hören oder lesen hilft, diese belastende Schuld und Scham loszuwerden. Oder anders gesagt: je mehr ich von anderen Dicken erfuhr, dass es ihnen ebenso ergeht wie mir, umso mehr konnte ich diese Selbstbezichtigungsgedanken bei Seite schieben. Ich bin nicht schuld und ich muß meinen Körper nicht hassen.
Es ist kein Zufall – dahinter stecken handfeste Interessen
In der letzten Episode erzählte ich davon, dass es Interessen gibt, dicken Menschen einzureden, dass sie weniger dick sein sollten, weil dick-sein so ziemlich das allerschlimmste ist, was mensch sich vorstellen kann. Es gibt zum einen wirtschaftliche Interessen – darüber spreche ich in der heutigen Episode, es gibt patriarchalische Interessen und es gibt auch persönliche Interessen, Dicke schlecht zu behandeln. Die patriarchalischen Interessen anzuschauen, lohnt sich, passt aber nicht so ganz in diesen Podcast, die persönlichen Interessen habe ich benannt. Es ist mangelndes Selbstbewußtsein und persönliche Ängste vor gesellschaftlichem Abstieg, die einen Schuldigen suchen. Mich macht das nach wie vor oft hilflos, wenn ich persönlich angegriffen werde. Da habe ich keine Lösung, außer ein dickeres Fell zu entwickeln und sich klar zu machen, dass dieser Mensch, der mich jetzt verletzt, einfach unrecht hat. Zum Aufbau dieses dicken Fells nützt es uns, uns klar zu machen, dass es ein gesellschaftliches Problem ist, wie mit dicken Menschen umgegangen wird – deswegen ist es mir ein Anliegen darüber zu sprechen. Heute soll es aber nun um einen Aspekt der wirtschaftlichen Interessen gehen. Ich möchte euch etwas über Plus Size Bekleidung erzählen.
Es gibt mehr Auswahl an Plus Size Kleidung, aber es ist noch nicht alles gut
Mit der Plus Size-Kleidung, die es zu kaufen gibt, ist es in den letzten Jahren etwas besser geworden – zumindest, wenn über das Internet gekauft wird, denn dann ist die Auswahl größer, als im kleinen Bekleidungsgeschäft am Ort oder in einem Einkaufszentrum, in dem vorrangig eine bestimmte Kette gibt, die Kleidung in großen Größen verkauft. Manche Marken schmücken sich mit der Behauptung, auch größere Größen zu bedienen, haben sie aber nicht in ihrem Ladengeschäft, so dass es sie zwar irgendwie gibt, aber eben auch nur per Onlinebestellung.
Onlinebestellung hat den Nachteil, dass es oft schwierig ist, sich vorzustellen, wie ein Kleidungsstück am eigenen Körper aussehen wird – dass manche Plus Size Kleidung dann auch noch an schlanken Körpern oder sogenannten Inbetweenies, als Frauen mit einer Kleidergröße 40 oder 42, fotografiert werden, macht es nicht unbedingt leichter.
Aber, halten wir kurz fest: es ist etwas besser geworden. Es gibt – wenn frau über den deutschen Tellerrand hinausschaut – mehr Auswahl und vor allen Dingen auch unterschiedlichere Sachen. Vieles ist schon fast modern. Vorbei sind die Zeiten, in denen es nur „fesche Zelte mit frechen Motiven“ drauf gibt. Trotzdem gibt es immer noch genügend scheinbar freche Muster und Motive und es gibt auch immer noch genügend Zelte und Säcke.
Plus Size Kleidung sieht oft aus wie ein Sack oder ein Zelt
Warum fertigen Unternehmen Säcke? Ganz einfach? Damit es allen passt. Oder anders gesagt, damit es allen irgendwie passt. Je größer das Zelt, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass es passt. Ob es schön aussieht, ist eine andere Frage. Ich kann mich noch gut an Zeiten erinnern, in denen ich dringend benötigte Kleidung kaufen musste und nahm, was wenigstens einigermaßen passt. Damals hatte ich oft die Wahl zwischen ist-zu-eng-aber-ich-ignoriere-das-und-rede-es-mir-schön oder eben Zelt. Gefühlt gab es damals nichts in der Mitte. Aber vielleicht war ich damals auch so ein Inbetweenie, der gerade noch so in die sogenannten Normalgrößen passt und nur in die ganz kleinen Plus-Größen. Weiß nicht. Jedenfalls erinnere ich mich an solche Einkaufserlebnisse. Woran ich mich nicht erinnern kann ist, dass ich ein Kleidungsstück kaufte, dass einfach gut passte und gleichzeitig die Farbe hatte, die ich mir wünschte.
Ok, also die Trefferwahrscheinlichkeit ist ein Argument für sackartige Kleidung – kein Wunder, wenn das immer und immer wieder als Oversize in Mode kommt, denn genau dieser „Passt-Schon“-Effekt wirkt sich natürlich auch positiv auf die Verkäufe in kleineren Kleidergrößen aus.
Aber nicht nur das: Säcke sind günstig zu nähen. Auch wenn es ein wenig mehr Stoff braucht, wird an Nähten gespart. Ein zeltartiges Kleidungsstück braucht keine Abnäher. Ein Top kann schon mit 4 Nähten zusammengefügt werden. Das geht schnell, das spart Arbeitskraft und das spart Geld, das in Kleidungsproduktion investiert wird. Anscheinend rentiert sich das etwas mehr an Stoff immer noch, wenn die vergleichsweise teurere Arbeitszeit bei zeltartiger Kleidung suventioniert wird.
Die Bekleidungsindustrie hat also ein Interesse daran, möglichst einfache Kleidungsstücke zu produzieren, die eine hohe Trefferwahrscheinlichkeit bezüglich der Passform haben. Wenn das Ganze dann noch mit Werbung und Mode schöngeredet wird, dann bleiben sie auch nicht auf ihrer vorproduzierten Kleidung in den Läden sitzen.
Bildsprache, die leider funktioniert
Apropos Werbung: wer kennt sie nicht diese zauberhaften Bilder von Frauen, in viel zu großer Kleidung. Wenn die Ärmel zu lang sind und die Hände eine warme Kaffeetasse festhalten. Wer assoziiert da nicht die zarte Frau, die gerade eine Nacht bei ihrem neuen Freund verbracht hat und sich ein viiieeel zu großes Hemd oder einen Pullover geliehen hat. Leider funktioniert diese Bildsprache mit dicken Frauen nicht. Was bei jungen, schlanken Frauen zauberhaft aussieht, wirkt bei dicken oder/und älteren Frauen schlampig. Gleiches gilt natürlich für zerwuschelte Haare, derbe Schuhe oder ein scheinbar ungeschminktes Gesicht. Solche Bilder sehen wir nicht von dicken oder alten Frauen in der Werbung und weil unser Gehirn manchmal komisch funktioniert, sehnen wir uns nach zu großen Kleidungsstücken mit dem Bild der zarten jungen Frau vor Augen ohne daran zu denken, wie es an uns in Wirklichkeit aussehen könnte.
Das heißt, diese Werbung funktioniert auch bei uns Dicken. Mangels Alternativen, können wir uns nur an diesen Bildern orientieren, weil andere gar nicht in Mainstream-Medien veröffentlicht werden. Diese Bilder setzen sich in unseren Köpfen fest. Viele Menschen interessieren sich für Mode. Mode ist was feines: es ist neu und irgendwie aufregend neu, es bringt Abwechslung und es kann uns Anerkennung bringen, wenn wir genau zum richtigen Zeitpunkt das modische Tragen. Zumindest theoretisch. Die Anerkennung bekommen wir, wenn wir mainstreammäßig aussehen, aber die Hoffnung stirbt zuletzt.
Kleidung darf heutzutage bequem sein
Und dann gibt es noch diese Mode, die ich die „Jogginghosen-isierung des Alltags“ nenne. Überall wird einfach mehr und mehr bequeme Kleidung getragen. Sneakers everywhere und wer trägt heute noch Kravatte! Während es vor 20 Jahren noch voll innovativ war, einen Casual-Friday einzuführen, tragen heute einfach alle und immerzu Turnschuhe. Aber das ist ein anderes Thema. Worauf ich hinaus will: Bequemlichkeit ist tageslichttauglich geworden.
Säcke sind ok. Wir dürfen Säcke tragen. Die Dünnen, weil sie darin zart aussehen und die Dicken, weil sie uns damit scheinbar weniger mit ihrer Figur belästigen.
Ein Schelm wer denkt, dass dahinter keine besonderen Interessen bestehen, Bodyshaming zu betreiben. Klar, es kann sein, dass alleine die wirtschaftlichen Interessen im Vordergrund stehen, die die Produktion der Kleidungsstücke möglichst billlig haben möchte und mit einer Passt-Allen-Garantie die Läger nur kurzzeitig belegen und den Absatz steigern will. Das kann der alleinige Grund sein und es will uns niemand was Böses. Aber oftmals frage ich mich, ob uns jemand was Gutes will.
Was wollen dicke Kundinnen?
Machen sich Bekleidungsunternehmen eigentlich wirklich darüber Gedanken, was dicken Menschen stehen könnte und was diese wollen? Seit mehr als 10 Jahren lese ich auf Plus-Size-Modeblogs, dass dicke Frauen eigentlich nur ganz genau die gleiche Kleidung tragen wollen wie dünner Frauen – nur um Himmels Willen keine Zelte! Ein paar Unternehmen bei denen wir online bestellen können, haben diesen Ruf gehört. Aber obwohl es zugegebenermaßen besser geworden ist. Überzeugt davon, dass Bekleidungsfirmen wirklich wissen, wie gute Kleidung für dicken Menschen gemacht werden könnte, bin ich immer noch nicht.
Warum? Weil sie es nicht können! Es ist verdammt noch mal gar nicht so leicht gut passende, der Figur schmeichelnde, witzige, hübsche, modische, attraktive, tolle Kleidung für dicke Körper zu nähen. Und dann kommt noch ein Problem hinzu: jeder dicke Körper ist anders. Je mehr Körpervolumen ein Mensch mit sich herumträgt, umso unterschiedlicher können die Hügel und Täler des Körpers verteilt sein. Da ist es zugegebenermaßen ziemlich schwer, für alle gut passende Kleidung zu nähen, obwohl diejenigen, die die Schnitte dafür machen, die Kundschaft nicht kennen. Ich sprach darüber bereits in vorherigen Episoden.
Wenn Designer*innen in ihrer Ausbildung nicht lernen, wie Kleidung für dicke Menschen gemacht wird, weil das einfach nicht Teil des Curriculums ist. Wie sollen sie es dann in der Praxis können? Wenn es nicht ein wirkliches Interesse gibt, gut passende Kleidung auch für dicke Menschen herzustellen, dann wird sich an den Ausbildungsverordnungen auch nichts ändern. Wenn kein wirkliches Interesse da ist, wirklich tolle Kleidung für alle zu machen, dann wird auch keine Zeit und kein Geld investiert, um Sachen ganz anders zu machen und potentielle Kundinnen zu befragen, was sie eigentlich wollen, statt einfach Säcke zu produzieren, die schon irgendwie passen, denn nackt wollen die Dicken ja auch nicht durch die Welt spazieren.
Für Bequemlichkeit und Bewegungsfreiheit braucht es keinen Sack
Es gibt übrigens auch Unternehmen, die ganz anders agieren. Unternehmen, die ihren Kundinnen zuhören oder die vielleicht sogar aus einem persönlichen Bedarf heraus gegründet sind. Mit Bekleidungsunternehmen kenne ich mich nicht so aus, weil ich ja das Allermeiste das ich trage selbst nähe, aber eine Firma möchte ich trotzdem und gerade deswegen nennen. Kennt ihr Snagtights? Das ist eine Strumpfhosenfirma, die ein eigenes Größensystem hat und Strumpfhosen in einem wirklich großen Größenspektrum anbieten – so groß, dass sie wirklich auch richtig dicken Menschen passen. Und ich vermute, sie sind ziemlich erfolgreiche damit – jedenfalls ist jeder Post, den ich auf meinem Blog oder den sozialen Medien zum Thema gut passende Strumpfhosen immer weitaus erfolgreicher, als alles andere, was ich erzähle. Das macht mir nichts aus, denn ich finde es großartig, die Lösung für ein Problem zu teilen. Kauft ruhig alle Snagthights (ich bekomme kein Geld für diese Werbung), denn ab gesehen davon, dass es wirklich tolle Strumpfhosen sind, verdient ein Unternehmen auch Erfolg, dass auf die Bedürfnisse der Kundinnen hört und Lösungen anbietet.
Zurück zur Kleidung, mit der ich mich auskenne: Für Beqemlichkeit und Bewegungsfreiheit braucht es aber keinen Sack, sondern an den richtigen Stellen Weite. Sich selbst diese gut passende Kleidung zu nähen ist meine Lösung aus dem Dilemma, weil ich einfach fürchte, dass sich die Welt nicht so schnell ändern wird, selbst wenn ich das laut zum Ausdruck gebe. Mir bleibt nur, mich zu ändern und statt das meinem Körper zu tun, verändere ich lieber meinen Geist und meine Kleidung. Wenn ich meine Kleidung selbst nähe, dann brauche ich keinen Sack zu nähen, um irgendwie in das KLeidungsstück hinein zu kommen. Ich kann die Hügel und Täler meines Körpers berücksichtigen und ein figurumschmeichelndes Kleidungsstück genau nach meinen Vorstellen nähen. Ich kann die Bedürfnisse meines Körpers berücksichtigen. Das ist kein Ausweg aus dem Problem, dass wirtschaftliche Interessen meinem Wunsch nach industriell gefertigter Kleidung im Wege stehen – das würde mir eine Menge Zeit sparen, wenn ich einfach so in einen Laden gehen könnte, um zu kaufen, was mir gefällt. Das nähen meiner eigenen Beleidung macht auch die Beleidigungen und Schmähungen nicht wett, denen ich mit meinem dicken KÖrper ausgesetzt bin. Aber interessanterweise werden es weniger. Denn wenn ich mich mag, wenn ich mich in Schaufenstern anschaue und mich daran erfreue, wie gut ich heute aussehe, wenn ich weiß, dass meine Kleidung einfach gut zu mir passt, dann strahle ich etwas aus, dass diese beleidigenden Stimmen immer öfter verstummen lässt. Ich nähe mir eine hübsche Rüstung für unsere absolut nicht perfekte Welt. Und deswegen mache ich auch diesen Podcast, um möglichst vielen Menschen davon zu erzählen, wie großartig es ist, gut passende, selbstgenähte Kleidung zu tragen.
Das wars für heute. Episode 65 ist zu Ende. Nächste Woche spreche ich darüber, was gut passende Kleidung für dicke Körper ausmacht oder anders gesagt: welche Bedürfnisse unser Körper hat. Es geht um Hacks für bessere Kleidung und viel mehr. Ich würde mich freuen, wenn ihr auch nächste Woche wieder zuhört.
Einladung zur Schnittanpassung Sprechstunde
Und für diejenigen, die diese Woche noch mehr von mir haben möchten. Morgen Abend, also am Donnerstag, den 1.10 ist es wieder so weit. Es ist der erste Donnerstag im Monat und am ersten Donnerstag im Monat findet immer meine Schnittanpassungs-Sprechstunde statt. Wenn du also gerade an einem Schnittanpassungsprojekt nicht weiter kommst und von mir Hilfestellung brauchst, dann komm doch in die Sprechstunde. Tickets dafür gibts im Schnittmusterkiosk unter shop.crafteln.de/sprechstunde Ich freue mich auf dich.
Mehr über “curvy-Schnittanpassung” erfährst du in meinem Buch “Passt perfekt Plus Size“. Wenn du andere “Plus-Size-Frauen” treffen möchtest, die auch gerade lernen ihre Kleidung nähen und Schnittmuster dafür anzupassen, dann komm in die curvy crafteln Facebookgruppe.
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