– der Weg ist der Weg zum Ziel
Schnittanpassung ist kein Wunderheilmittel. Schnittanpassung macht alles besser, aber nur, wenn Frau es als Prozess versteht. Nicht alles kann am Schnitt gemacht werden – das Finetuning gehört dazu. Mit dem Heften nähern wir uns langsam der Wunschsilhouette an und lernen dabei unsere Figur besser kennen, Kleidungsstücke verstehen und zu modellieren.
In diesem Blogpost bekommst du eine Zusammenfassung der Inhalte der Podcastepisode. Im Podcast selbst, erzähle ich noch etwas ausführlicher.
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Darum geht es in Episode #48
Heute geht es wieder um ein scheinbar kleines Phänomen, eine kleine Nähtechnik. Aber wieder einmal habe ich mir den einen oder anderen Gedanken dazu gemacht und dabei herausgefunden, dass da doch ne Menge dahinter steckt. Heute geht es ums Heften.
Was ist “heften”?
Was ist eigentlich „heften“? Eine Zeitlang dachte ich, das wäre etwas ganz altmodisches – insbesondere dann, wenn ich – als ich noch in einem Stoffladen arbeitete – von älteren Damen nach Heftgarn gefragt wurde. Neee, sowas führen wir nicht. Heftgarn! Wer heften denn heutzutage noch!
Ok, ich sollte vielleicht wirklich erklären, was heften eigentlich ist. Heften bedeutet „vorläufig zusammen nähen“. Ein Kleidungstück wird vorläufig mit einem großen Stich zusammen genäht. Die Naht wird dabei nicht verriegelt, so dass sie leicht wieder aufzutrennen ist. Früher wurde das per Hand gemacht. Dafür gab es spezielles Heftgarn. Dieses Garn war günstiger, als das normale Nähgarn, gab es nur in einer Farbe – was ja kein Problem war, denn die Naht wurde ohnehin wieder aufgetrennt – und es war etwa dicker, aber weniger reißfest. Wenn ich heutzutage vom Heften spreche, dann meine ich das vorläufige Zusammennähen mit der Nähmaschine. Aber eigentlich ist das kein Unterschied, denn auch mit der Nähmaschine wird mit großem Stich und ohne Verriegeln eine Naht genäht, mit der der Stoff zusammengeheft wird.
Heften ist etwas aus der Mode gekommen
In Zeiten des „Kleidungsstücke schnell unter der Nadel raushüpfen lassen“ kommen Techniken wie das Heften etwas aus der Mode. Heutzutage nähen wir zum Spaß und haben wenig Geduld. Wir wollen schnelle Instant-Erfolgserlebnisse und tackern mit der Overlockmaschine Shirts und Hoodies zusammen, was das Zeug hält. Ein Kleidungsstück soll an einem Abend fertig werden – da bleibt keine Zeit für das Heften.
Doch natürlich sind nicht alle Hobbynäherinnen so. Ich würde sogar sagen, dass wir vermutlich alle mal so ne Phase haben, in der wir im Nährausch sind, bezaubert von den Möglichkeiten, die sich auf einmal bieten, wenn wir entdeckt haben, dass wir Kleidung nähen können und fasziniert von dem, was die Stoff- und Nähwelt so alles bietet. Doch viele Hobbynäherinnen entwickeln sich weiter und wollen irgendwann auch andere Kleidungsstücke als Shirts und Hoodies nähen. Früher oder später kommt dann auch das Heften ins Spiel.
Heften hilft uns immer dann, wenn wir Komplizierteres nähen. Dieses vorläufige Zusammennähen ist immer dann ein guter Weg, wenn wir unsicher sind und erst einmal „auf Probe“ das Kleidungsstück aus seinen Einzelteilen zusammenfügen wollen, um zu sehen, ob wir noch etwas anders machen wollen. Oder das Heften kommt dann ins Spiel, wenn wir uns langsam der finalen Silhouette nähern. Aber dazu komme ich später.
Heften entschleunigt
Heften entschleunigt den Prozess. Wir machen einen Zwischenschritt, der Zeit kostet, aber Erkenntnisse und Sicherheit bringt. Wir nehmen Umwege in Kauf und nähern uns Schritt-für-Schritt langsam und bewußt dem Ergebnis. Wir opfern den Schnelligkeitsfetisch der Entscheidung für Qualität. Wir schenken dem Prozess des Nähens, des Entstehens eines Kleidungsstückes Aufmerksamkeit.
Vor vielen Jahren erzählte mir ein Freund von seinem Yogalehrer. Der Yogalehrer versuchte seine Schüler*innen zu ermuntern, nicht nur in der einen Yogastunde in der Woche Achtsamkeit zu üben. Er wies sie daraufhin, dass es bei jeder Tätigkeit möglich wäre, achtsam zu sein und sich in dieser Konzentration zu üben. Sein Beispiel war das Putzen der Toillette. Warum sich eigentlich nicht über das Material erfreuen, die glatte Oberfläche entdecken, feststellen, wie kalt sie ist und sich darüber erfreuen, wie leicht sie sauber zu machen ist und den anschließenden Glanz bewundern. Warum eigentlich nicht mit dem Lappen der Rundung der Toillette nachfahren und genau dieses Kreise ziehen, diese organische Form zu genießen, spüren, wie der Körper der Form folgt und sich dabei beobachten…. So ging das eine Weile und glaubt mir, daran denke ich seit 30 Jahren jedes Mal, wenn ich das Klo putze!
Kleidungsstücke modellieren
Ich denke allerdings auch daran, wenn ich die Abnäher eines Kleidungsstücks hefte oder den Verlauf der Taille abstecke, um ihn dann erst einmal vorläufig mit großem Stich zu nähen. Ich entdecke die organischen Rundungen meines Körpers, bewundere die Form und erfahre, wie die Naht dieser Form folgt.
Wenn ich ein Kleidungstück modelliere, dann nähere ich mich langsam, Heftnaht für Heftnaht der gewünschten Silhouette an. Gerade, weil ich keine Unterstützung habe, weil ich da Kleidungsstück in der Regel alleine abstecke, erwarte ich gar nicht, beim ersten Wurf schon das perfekte Ergebnis zu erreichen. Ich nähere mich Stück für Stück mit Heftnähen der Naht an, die das Kleidungsstück für mich vollkommen macht. Die Langsamkeit des Prozesses stört mich nicht. Im Gegenteil: ich finde sie faszinierend.
Fühlen, ob es ein Kleidungsstück richtig ist
Das Heften gibt mir die Gelegenheit, nicht nur eine Entscheidung vor dem Spiegel nach optischen Kriterien zu treffen. Das Heften macht ein Stückweit ein Kleidungsstück echt. Ich kann mich in dem vorläufig zusammen genähten Kleidungsstück bewegen. Ich kann eine Weile lang so tun, als wäre es fertig und das gehefte Kleidungsstück zur Probe tragen. Erst, wenn es nicht nur gut aussieht, sondern sich auch gut anfühlt, kann es final genäht werden. Heften ist wirklich Entschleunigung.
Aber genau dieser Zwischenschritt macht Kleidungsstücke erst richtig gut. Eine gute Passform ist immer ein Kompromiss zwischen Aussehen und Bewegungsfreiheit. Das können wir nicht theoretisch entscheiden. Es braucht eine Menge Erfahrung oder zumindest Ausprobieren, um herauszufinden, wo genau die Mitte zwischen Aussehen und Bewegungsfreiheit ist. Es reicht nicht, ein Kleidungsstück vor dem Spiegel zu optimieren. Wir müssen es eine Weile tragen und uns hineinfühlen. Dazu heften wir das Kleidungsstück zusammen und nähern uns Heftnaht für Heftnaht dem für uns optimalen Ergebnis.
Finetuning gehört zur Schnittanpassung dazu
Als ich mit dem Anpassen von Schnittmustern begann und endlich verstand, wie ich bestimmte Anforderungen meines Körpers auf das Papier übertragen konnte, war ich schrecklich enttäuscht, wenn nicht auf Anhieb genau das herauskam, was ich mir erträumt hatte. Ich verstand lange nicht, dass das Finetuning, die Fein-Anpasssungen am halbfertigen Kleidungsstück zur Schnittanpassung dazu gehören. Nicht alles können wir theoretisch voraussehen – manche Entscheidungen können wir erst treffen, wenn wir ein zusammengeftetes Kleidungsstück am Körper sehen und fühlen. Das Finetuning gehört dazu. Wenn wir glauben, diese Phase im Nähprozess überspringen zu können, dann produzieren wir Kleidungsstücke, die mit einer großen Wahrscheinlichkeit ungeliebt und ungetragen werden – vor allen Dingen dann, wenn wir Kleidung nähen, an die wir gewissen Passform-Ansprüche haben.
Ich nähe nun seit 10 Jahren meine Kleidung selbst und trage im Grund nur noch Selbstgenähtes. Mein Kleiderschrank ist gut gefüllt. Das ist wahrscheinlich der Grund dafür, warum ich langsamer nähen kann und meine Ergebnisfixierung loslassen kann. Der Rausch des Anfangs mit der Verwunderung darüber, was beim Nähen möglich ist, ist verflogen und gleichzeitig sind meine Ansprüche an ein Kleidungsstück gestiegen. Das gibt mir Zeit, den Prozess zu beobachten, besser zu verstehen und zu genießen. Und es gibt mir die Zeit, diese Gedanken mit euch zu teilen.
Hättest du gedacht, dass man so viel über eine simple Nähtechnik, wie die Heftnaht sagen kann? Das hätte ich auch lange nicht gedacht. Aber mittlerweile fasziniert mich genau das beim Nähen. Ich fertige nicht nur Kleidungsstücke, sondern lerne so viel über mich selbst!
In der 4. Staffel des Passt Podcasts geht es um Ansprüche und Perfektion. Diese Staffel ist nun fast zu Ende. Die nächste Episode ist das Finale der Staffel, dann kommt noch eine Überraschungsepisode und danach geht der Podcast wieder in eine Pause bevor Staffel 5 beginnt. Jetzt wünsche ich euch erst aber einmal eine gute Woche – bis bald, Eure Meike Rensch-Bergner
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